: Letzte Fontänen
Ein Tag am Nordkap: Bei ihrer Pottwalsuche auf offener See ist die Reisegruppe endlich fündig geworden
Der Donnerstag beginnt mit schmutzigem Licht. Es ist der Tag, an dem es mit einem Fischkutter raus zu den Walen gehen soll. Ein Mann aus der Reisegruppe fragt nervös, wann die Tablette gegen Seekrankheit eingenommen werden soll. Andenes ist ein nebliges Städtchen, das aus nicht viel mehr als aus zwei Supermärkten und einem schäbigen Hotel an der Hauptstraße besteht. Bei den Besuchern steigt eine graue Ahnung auf, wie deprimierend es den ganzen Winter über sein dürfte.
Im „Hvalsenter“ am Hafen steht dann ein junger Mann, er hebt eine Hand nach oben wie Winnetou und sagt, dass es nichts wird mit den Walen an diesem Tag. Die Windstärke sei zu hoch. Er vertröstet die Gruppe auf den nächsten Morgen.
Den Touristen bleibt nur, das angeschlossene Walmuseum zu besichtigen. Von anderen Besuchern sind im Gästebuch wenig ermutigende Sätze hinterlassen worden: „Seit Montagabend warten wir hier. Leider ist das Wetter so schlecht, dass wir nicht fahren können. 5 Mal verschoben. Leider haben wir jetzt keine Zeit mehr zu warten. Große Enttäuschung. Elke und Norbert Fucke aus Stuhr (bei Bremen)“. Alle schwitzen wegen der warmen Anziehsachen. Draußen fällt neuer Regen. Die Trostlosigkeit des Wetters überträgt sich auf die Umgebung. Schlechte Laune hängt über den Straßen und eine Stille, die nichts Erholsames hat.
Nachts legt sich der Wind, das Meer wird ruhiger, die Touristen betrinken sich in der heruntergekommenen Hotelbar. Am nächsten Tag klappt alles: Die Reisegruppe fährt mit einem Fischkutter auf das offene Wasser hinaus. Der Kapitän schaltet sein Sonargerät ein, mit dem er die Geräusche der Wale empfangen kann. Es dauert nicht lange, dann sind nacheinander sechs Pottwale zu hören und zu sehen. Sie dümpeln etwa zehn Minuten an der Oberfläche und sprühen ihre Fontänen. Wenn die Tiere wieder senkrecht nach unten abtauchen, schleudern sie ihre riesigen Schwanzflossen in die Luft. Das ist der Augenblick, auf den alle gewartet haben. Das Beste, was passieren kann. Der Höhepunkt der Reise. Der Moment, in dem alle Touristen auf die Auslöser ihrer Kameras drücken.
Alle bis auf die paar, die frierend und seekrank über der Reling hängen. KIRSTEN KÜPPERS