: Kein Heros vom Establishment
NACHRUF Der preisgekrönte Schriftsteller hatte seine Fans in der antiautoritären Szene
VON JÖRG SUNDERMEIER
Es war unklar, ob der Preisträger persönlich erscheinen konnte, denn er war ein Häftling, der gerade erst aus der Einzelhaft in den Normalvollzug überstellt worden war. Als dem 1944 in Mecklenburg geborenen Peter-Paul Zahl im Jahr 1980 der Literaturförderpreis der Freien Hansestadt Bremen verliehen wurde, saß dieser junge Autor schon seit rund acht Jahren im Knast. Als mutmaßlicher Terrorist. Er hatte sich im Jahr 1972 seiner Verhaftung widersetzt, dabei von der Schusswaffe Gebrauch gemacht und einen Polizisten schwer verletzt. Die Haftjahre nutzte Zahl, der bereits 1968 mit einem Buch in Erscheinung getreten war, zum Schreiben nicht nur politischer Texte. 1979 erschien dann schließlich sein berühmtester Roman „Die Glücklichen“, in der Zahl eine Alternativkultur beschrieb, die viele, die von den Utopien der Jahre 68 ff. geprägt waren, sehr gut kannten. „Die Glücklichen“ wurde zum Kultbuch.
Der im Dezember letzten Jahres verstorbene Peter O. Chotjewitz, der nicht nur Schriftstellerkollege, sondern auch Zahls Anwalt war, erinnerte sich vor einigen Jahren, dass er Zahl – obschon dieser immerhin wegen versuchten Mordes in zwei Fällen zu 15 Jahren Haft verurteilt worden war und als politischer Häftling galt – einfach so mit dem Privatwagen aus der Haftanstalt abholen durfte. Chotjewitz, der selbst als Unterstützer der RAF angeklagt gewesen war, musste lediglich garantieren, den Häftling später auch brav wieder abzuliefern. Der Strafvollzug für Staatsfeinde war nach dem Deutschen Herbst des Jahres 1977 nicht immer ohne Witz.
Zahl nun erhielt den wichtigen Literaturpreis, und seine Schriften wurden somit von der Literaturkritik quasi geadelt. Mit geadelt wurde dabei allerdings auch immer der linksradikale Aktivist, der bei der legendären Berliner Untergrundzeitschrift 883 mitwirkte (und nicht nur bei dieser), der amerikanische GIs bei der Desertation und der Flucht nach Schweden unterstützte, der als Betreiber einer kleinen Druckerei half, so manch einer klandestinen Schrift eine Öffentlichkeit zu geben. Er war der Verleger von Westberliner Anarchisten und Gutlebeleuten, er selbst war auch durchaus ein Lebemensch.
Die Bremer Preisverleihung im Jahr 1980 war ein kleiner Skandal. Der damals noch weitgehend linksliberal gesonnene Literaturbetrieb genoss die Aufregung um den Preisträger. Dieser selbst genoss sie offensichtlich ebenso.
Nach der Haftentlassung, im Dezember 1982, und nach einigen merkwürdigen Wiedereingliederungsmaßnahmen für den bereits anerkannten Schriftsteller blieb Zahl ein linker Aktivist, doch wurde er gemäßigter. Sein Aktionsdrang verlegte sich ins literarische, er bereiste die damals für Linke interessanten Länder, schließlich ließ er sich auf der coolen Kifferinsel Jamaika nieder, der er sich auch literarisch näherte, allerdings oft auch sehr klischeehaft und oberflächlich.
Peter-Paul Zahl war kein politischer Theoretiker, kein großer Denker und kein feiner Stilist, er war manchmal derb, weil er nicht anders konnte, große Romane im Sinne der bürgerlichen Literaturkritik hat er nicht geschrieben, dennoch sind die besten seiner vielen Bücher weit mehr als nur Dokumente einer engagierten Linksliteratur. Zahl hatte Humor. Und auch Selbstironie.
Dass der Ruf des Politaktivisten bis zuletzt seinen literarischen Rang überdeckte – es hatte positive und negative Folgen für ihn. Einerseits galt er den meisten Fans der „Glücklichen“ mit allem, was er publizierte, als literarischer Heros, andererseits mied ihn der etablierte Literaturbetrieb zusehends. Er galt als „Figur“, nicht als Autor. Auch der Umstand, dass ihm mit dem Glauser im Jahr 1995 für seinen Krimi „Der schöne Mann“ einer der wichtigsten Krimipreise verliehen wurde, änderte nichts daran. In den letzten zwei Jahren suchte Zahl noch Verlage für neue und vergriffene Titel, doch er wurde – soweit bekannt ist – nicht mehr fündig. „Miss Mary Huana“ von 2007 ist sein letztes zu Lebzeiten veröffentlichtes Buch.
Dieses Schicksal hat er, bei aller berechtigten Kritik an seinen manchmal doch mit allzu heißer Nadel gestrickten Büchern, nicht verdient.