Das Netz läuft Amok

Fast 90 Amokdrohungen bis zu den Schulferien: NRWs Schüler schießen via Internet auf ihre Schulen

Roswitha R. googelt seit zwei Wochen jeden Tag ihren Namen. Den hat die Berufsschullehrerin aus Düsseldorf nämlich vor 14 Tagen rein zufällig auf der Internetseite einer Jahrgangsstufe entdeckt, die sie unterrichtet – mit dem Zusatz, dass sie bei einem Amoklauf mit dran ist.

Als direkte Morddrohung hat sie das nicht aufgefasst, Angst macht es ihr trotzdem. So viel, dass sie ihren vollständigen Namen nicht in der Zeitung lesen will: „Sonst finden das Schüler noch witzig, mir übers Internet Angst einzujagen.“

Auf dem Amok-Trittbrett zu fahren, hat knapp fünf Wochen nach der Schießerei von Emsdetten Konjunktur in Nordrhein-Westfalen: 88 Amokdrohungen hat das nordrhein-westfälische Innenministerium bis zum Ferienbeginn gezählt, die meisten wurden in Internet-Foren gepostet. Todeslisten mit Lehrer- oder Schülernamen, Amoktermine, montierte Erschießungsszenen. „Nehmen Sie die Hinweise bitte ernst und wenden Sie sich an die Polizei“, hat NRW-Schulministerin Barbara Sommer (CDU) an alle Schulen gemailt. Das hat auch Roswitha R. gemacht. „Ohne den Vorfall in Emsdetten hätte ich das wohl nicht gemacht“, sagt sie. In ihrem Fall hat die Polizei es bei ein paar ernsten Worten mit dem Internetuser belassen – er hatte schließlich nicht direkt mit Mord gedroht. Andere wurden in den letzten Wochen deutlicher: Zwei 14 und 15-Jährige Schüler aus Remscheid kündigt einen konkreten Termin an, an dem sie vier ihrer Lehrer töten wollten. Bei einer Hausdurchsuchung entdeckte die Polizei zwei Luftgewehre, acht Kleinwaffen und ein Jagdmesser. Wollten sie also wirklich?

„Das kann man nie wissen“, sagt Ralf Peter Reimann, der für die evangelische Landeskirche eine Chat-Seelsorge für Jugendliche betreibt. „Es ist aber eigentlich immer ein Hilfeschrei, auch wenn es nicht wirklich in die Tat umgesetzt wird.“ Es gehe um Aufmerksamkeit, sagt der Seelsorger. Aufmerksamkeit für Schulprobleme, Einsamkeit, Depressionen. „Es sollte also auf jeden Fall eine Reaktion geben.“

Die gibt es auch, und das zur Zeit auch ziemlich schnell. „Ich will töten“, „Dschihad“, „Atombombe“ und „Lehrer“ schrieb ein Lüdenscheider Berufsschüler auf seinen Klassentisch. Seine Mitschüler holten sofort den Lehrer und der die Polizei. Er durfte kurze Zeit später wieder in die Schule. Die Remscheider mussten zwei Tage später vors Amtsgericht. „Für Morddrohungen kann man fast drei Jahre ins Gefängnis wandern“, informiert das Innenministerium. Diesen Satz hat Roswitha R. inzwischen an mehrere Schülerforen geschickt. „Vielleicht hilft es ja.“

MIRIAM BUNJES