: „Wie viel Kohle sollen wir hinterlassen?“
ZUKUNFT Auf einem Kongress diskutieren Wissenschaftler und Publizisten über Gerechtigkeit zwischen Generationen – jenen, die bereits leben, und jenen, die erst noch geboren werden
■ geboren 1959, ist ein deutscher Philosoph und Universitätsprofessor am Institut für Philosophie der Freien Universität Berlin. Darüber hinaus ist er Direktor der Kolleg-Forschergruppe „Justitia Amplificata: Erweiterte Gerechtigkeit – konkret und global“. Forschungsschwerpunkte von Stefan Gosepath sind lokale, globale und angewandte Gerechtigkeit, Gleichheit, Menschenrechte, Demokratie sowie Theorien der Vernunft und Rationalität.
INTERVIEW GESA STEEGER
taz: Herr Gosepath, Sie sind einer der Teilnehmer des Kongresses: „Baustelle Neuer Generationenvertrag“ der Heinrich-Böll-Stiftung, der am Freitag beginnt. Warum brauchen wir denn einen neuen Generationenvertrag?
Stefan Gosepath: Erst mal muss man ja fragen, was hier mit Generationen gemeint ist.
Das ist immer gut.
Einmal müssen wir über die Generationen sprechen, die gleichzeitig leben, also Großeltern, Eltern, Kinder. Da geht es beispielsweise um die Rentenfrage: Wie müssen die ArbeitnehmerInnen heute ihr Geld anlegen, damit sowohl die Großelterngeneration als auch die Nachkommen abgesichert sind? Der alte Generationenvertrag aus den 50er und 60er Jahren hatte ja genau das zum Thema. Nämlich: Wie können die Generationen in der materiellen Güterverteilung fair zusammenleben? Daneben kommt jetzt aber ein neues Thema, das in Gedanken schon da ist, für das die Politik aber noch nicht wirklich Vorkehrungen getroffen hat.
Und das wäre?
Der zweite Begriff von Generation, also diejenigen, die heute leben, versus diejenigen, die in der Zukunft leben werden. Da ergeben sich neue Herausforderungen, über die wir bei dem Kongress auch sprechen werden.
Welche Herausforderungen sind das?
Wir beeinflussen das Leben der zukünftigen Generationen massiv. Daran haben wir bisher nicht wirklich gedacht. Jetzt müssen wir uns auch fragen: Was schulden wir denn denen? Wie können wir den kommenden Generationen eine funktionierende Gesellschaft hinterlassen?
Und gibt es da schon Antworten?
Da ergeben sich einige Asymmetrien. Denn was ich meinem Kind oder meinem Enkelkind schulde, das kann ich ein Stück weit vorhersehen. Aber was die Leute in hundert Jahren brauchen werden, dass ist viel schwieriger vorauszuahnen. Wir wissen ja beispielsweise nicht, welche Auswirkungen die Klimaveränderung in dieser Zeit genau haben werden oder welche technischen Fortschritte es geben wird. Deswegen können wir auch gar nicht sagen, ob es fair ist, denen so und so viel Kohle zu hinterlassen, da wir gar nicht wissen, welche Rolle Kohle oder andere fossile Brennstoffe in hundert Jahren spielen werden.
Wie könnte denn dann ein gerechter Generationenvertrag aussehen?
Ein paar Punkte sind natürlich offensichtlich und altbekannt. Etwa das Thema Atomenergie. Es ist völlig unzulässig, den kommenden Generationen den ewig strahlenden Atommüll vor die Tür zu schütten und zu sagen: So, da müsst ihr euch jetzt etwas überlegen. Um dem vorauszugreifen, müssen wir heute Entscheidungen treffen, die möglichst in Zukunft revidierbar und korrigierbar sind. Ich glaube, das ist eine wichtige Forderung zugunsten der Autonomie der zukünftigen Generationen – damit die nicht das Leben so leben müssen, wie wir denken, dass sie es leben sollten.
Braucht es also einen neuen Konsens zwischen den Generationen?
Ja, das braucht es auf jeden Fall. Aber auch das ist wieder eine Herausforderung. Schon zwischen den gemeinsam lebenden Generationen gibt es Verteilungskonflikte. Auch da brauchen wir ja einen gewissen Konsens, der oft nicht leicht zu finden ist. Politisch lösen wir diese Probleme mit demokratischen Verfahren: Am Schluss wird abgestimmt und die Mehrheitsentscheidung kann akzeptiert werden, auch wenn man unterliegt. Die zukünftigen Generationen können sich aber nicht an diesen Verfahren beteiligen. Deshalb ist da die Frage: Wie nehmen wir in unseren Entscheidungen auf die Rücksicht?
■ Unter dem Titel „Aufeinander bauen“ veranstaltet die Heinrich-Böll-Stiftung von Freitag bis Sonntag den Kongress „Baustelle Neuer Generationenvertrag“. In Workshops, Diskussionen und Vorträgen sollen Antworten auf radikal veränderte gesellschaftliche Bedingungen gefunden werden.
■ Teilnehmer sind unter anderem Dietmar Bartsch, Micha Brumlik, Teresa Bücker, Georg Diez, Yasmin Fahimi, Katrin Göring-Eckardt, Stefan Gosepath, Sven-Christian Kindler und Mariam Lau.
■ Anmeldung unter: generationenvertrag@boell.de.
Und wie könnte Rücksichtnahme in diesem Fall aussehen?
Da gibt es verschiedene Vorschläge: Beispielsweise werden Ombudsleute ins Parlament eingeführt, die die Interessen der zukünftigen Generationen vertreten sollen. Aus diesem Verfahren ergeben sich allerdings wieder Schwierigkeiten. Denn woher sollen die Ombudsleute wissen, wie sie für die kommenden Generationen entscheiden sollen? Meiner Meinung nach, ist es wichtiger und richtiger gemeinsam zu überlegen, welches die richtigen energiepolitischen und infrastrukturellen Entscheidungen sind und wie wir der zukünftigen Generation ein erfülltes Leben sichern.
Und der Generationen-Kongress soll Antworten auf diese Fragen finden?
Laut Programm ist geplant, dass, während der Veranstaltung Bausteine für einen neuen Generationenvertrag vorgestellt und diskutiert werden sollen. Ich glaube, es wird tatsächlich sehr konkrete Punkte geben, die auch die gesellschaftspolitischen Diskussionen in den nächsten Jahren beeinflussen werden.