: Donald Tusk kann weitermachen
POLEN Regierung gewinnt Vertrauensabstimmung. Ein Ende des Abhörskandals ist jedoch nicht in Sicht. Zwei verdächtige Unternehmer aus der Kohlebranche festgenommen
AUS WARSCHAU GABRIELE LESSER
237 zu 203: Als die Zahlen auf der Tafel im polnischen Parlament aufleuchteten, klatschten die Abgeordneten der Regierungskoalition. Auf den Oppositionsbänken herrschte betretenes Schweigen. Premier Donald Tusk hatte am Mittwochnachmittag die Vertrauensfrage gestellt und sie spätabends gewonnen.
Seine von einem peinlichen Abhörskandal erschütterte liberal-konservative Regierung kann weiterregieren. Dabei ist ein Ende des Skandals nicht abzusehen. Die Illustrierte Wprost, die in den letzten zwei Wochen bereits sechs illegal abgehörte Privatgespräche von Ministern, Bankern und Geschäftsleuten publizierte, will die Serie fortsetzen.
Ob der Illustrierten das verboten werden kann, wird zurzeit noch geprüft. Als vor einigen Tagen Staatsanwälte die Redaktionsräume durchsuchten und der Chefredakteur sich weigerte, die Quelldatei auszuhändigen, war die Empörung groß. Angeblich hätte „der Staat“ die Freiheit des Wortes verletzt. Je länger die Ermittlungen andauern, desto stärker gerät aber auch die Wprost-Redaktion in die Kritik. Möglicherweise hat sie sich zum Handlanger einer kriminellen Vereinigung machen lassen, die aus Rache für ein verhindertes Kohlegeschäft in Millionenhöhe die Regierung stürzen wollte.
Das bekannteste Opfer des Lauschangriffs ist bislang der Innenminister, Bartlomiej Sienkiewicz, der sich mit dem Notenbankchef Marek Belka über dessen mögliche Hilfe für den Machterhalt der Bürgerplattform Tusks unterhalten hatte. Peinlich wirkte auch das Gespräch zwischen Außenminister Radoslaw Sikorski und Exfinanzminister Jacek Rostowski über die Beziehungen Polens zu den USA und über künftige prestigeträchtige und hochbesoldete Jobs als Botschafter in Paris oder in den Institutionen der EU.
Über die mutmaßlichen Täter ist noch nicht allzu viel bekannt. Zwei Kellner hatten anscheinend den VIP-Gästen eine Fernbedienung in die Hand gedrückt: „Damit können Sie mich jederzeit rufen.“ In Wirklichkeit befand sich darin auch ein Diktafon, das das gesamte Gespräch aufzeichnete. Interessanter als die Kellner sind die Hintermänner. Verhaftet wurden bislang zwei Unternehmer aus der Kohlebranche, Marek F. und sein Schwager und Kompagnon Krzysztof R.
Der als „Kohlekönig“ bekannte Marek F. steht auf der Forbes-Liste der reichsten Polen mit 100 Millionen Euro Vermögen auf Platz 67. Die Kohle-Halden-AG (Sklady Wegla), an der Marek F. mit 40 Prozent beteiligt ist, importierte billige Kohle aus Russland und unterbot den Preis der zumeist staatlichen Kohlebergwerke Polens, so dass diese auf ihrer Kohle sitzen blieben. Als Warschau entschied, dass die heimische Kohleförderung Vorrang vor dem Import haben müsse, schienen die Sklady Wegla die russische Kohle zur polnischen umdeklariert zu haben. Die Antikorruptionsbehörde ließ den Vorstand verhaften und die Firmenkonten sperren. Verluste in Höhe von 25 Millionen Euro scheinen Marek F. auf Rachegedanken gebracht zu haben.
Tusk deutete im Sejm aber auch an, dass es eine zweite Spur Richtung Osten gebe. „Moskau“ und „Gas“ hörten Journalisten heraus. In zwei Monaten soll der Abhörskandal so weit aufgeklärt sein, dass die Tusk-Regierung bis zu den regulären Wahlen im Herbst 2015 weiterregieren kann.