: Schäuble am Drücker
AUS BERLIN LUKAS WALLRAFF
Was passiert, wenn ein entführtes Flugzeug auf ein Atomkraftwerk zurast? Immer wieder stellte Wolfgang Schäuble bei seiner Pressekonferenz gestern diese Frage in den Raum, und er gab auch eine Antwort: Es sei klar, dass der Staat in einem solchen Fall „nicht einfach sagen kann, er macht nichts“. Er jedenfalls wolle alles tun, um zu „vermeiden, dass ein Kernkraftwerk zum Instrument eines Terroranschlags gemacht wird“.
Alles gegen terroristische Angriffe zu tun – das bedeutet für den Innenminister, auch Passagierflugzeuge notfalls abzuschießen. Da es dafür aber bisher keine rechtliche Grundlage gebe, müsse das Grundgesetz geändert werden, findet der CDU-Politiker. Trotz der Ablehnung des Koalitionspartners SPD und der Opposition hält Schäuble an seinem Plan fest, den Artikel 87a der Verfassung zu ergänzen. Dort, so Schäuble, soll ein Passus eingefügt werden, wonach die Bundeswehr außer zur Verteidigung auch zur „unmittelbaren Abwehr eines sonstigen Angriffs auf die Grundlagen des Gemeinwesens“ eingesetzt werden könne.
Diese Ausweitung des Grundgesetz-Artikels bleibt jedoch heftig umstritten. Obwohl Schäuble behauptete, sein Vorschlag sei innerhalb der Regierung „fachlich abgestimmt“, kam von SPD-Politikern erneut Kritik. Die Entführung eines Verkehrsflugzeuges bedrohe nicht die Existenz Deutschlands und sei damit etwas völlig anderes als ein Verteidigungsfall, sagte der Vorsitzende des Bundestags-Innenausschusses, Sebastian Edathy, im Deutschlandfunk. Der frühere FDP-Politiker Burkhard Hirsch drohte mit einer Klage in Karlsruhe, „wenn es dem Staat ermöglicht werden soll, bei einem terroristischen Angriff im Inland das Kriegsrecht auszurufen“.
Schäuble hielt seinen Kritikern entgegen, es wäre unverantwortlich, das staatliche Verhalten bei extremen terroristischen Bedrohungen ungeregelt zu lassen. Auch die frühere rot-grüne Regierung habe versucht, den Abschuss eines Flugzeuges zu legitimieren – durch das Luftsicherheitsgesetz. Dieses aber sollte ohne Änderung des Grundgesetzes in Kraft treten und war 2006 in Karlsruhe für verfassungswidrig erklärt worden. Geklagt hatte damals unter anderem FDP-Mann Hirsch.
Er tue nun nichts anderes, als den Koalitionsvertrag umzusetzen, sagte Schäuble. Darin habe man vereinbart, nach einer Lösung zu suchen, wie eine verfassungsrechtliche Grundlage für das Anliegen des Luftsicherheitsgesetzes gefunden werden könne. Eine Grundgesetzänderung sei nötig, beharrte Schäuble – über die genaue Formulierung könne man noch reden.
Regierungssprecher Ulrich Wilhelm erklärte, Schäuble versuche, eine angemessene Antwort auf terroristische Bedrohungen zu finden. „Die Kanzlerin unterstützt den Bundesinnenminister selbstverständlich dabei.“ Schäuble aber hat nicht nur wegen des Widerstands der SPD noch einige Überzeugungsarbeit vor sich: Wie eine Emnid-Umfrage ergab, lehnen 55 Prozent der befragten Deutschen den Abschuss eines Passagierjets auch bei Terrorgefahr ab.
Die Überzeugungsarbeit war auch bei der gestrigen Pressekonferenz schwierig. Nachdem er immer wieder auf die besondere Gefährdung von Atomkraftwerken hingewiesen hatte, wurde Schäuble gefragt, warum sich sein CDU-Landesverband Baden-Württemberg dann ausgerechnet für eine längere Laufzeit des schlecht gesicherten AKW Neckarwestheim I einsetze. Dafür sei er nicht zuständig, sagte der Minister und brummelte genervt: „Am sichersten würden wir leben, wenn wir alles abschalten in Deutschland.“