: Zarte Ansätze von Pogo
GRUNGE Und wenn du denkst, es geht nicht mehr, kommt Kurt Cobain von irgendwo her: Gut älter werden mit The Vaselines hieß es Montag im Comet
Es ist eine alte Geschichte: Die Götter sind oftmals ungerecht, besonders im Verteilen ihrer Gunst, aber manchmal reicht ein kleiner Sonnenstrahl, um ein Schlafzimmer ins Licht zu setzen. Oder eben eine Schlafzimmerrockband. Wie The Vaselines, ein Duo aus Glasgow, Schottland, bestehend aus Frances McKee und Eugene Kelly, die ein Paar waren, bevor ihre erste Langspielplatte erschien, und mit ihrer Beziehung auch ihre Formation auflösten, damals, 1989, dann aber nicht mit damit gerechnet hatten, einen Sonnenstrahl mitzubekommen.
Der Strahl kam von Kurt Cobain, Nirvana, der die Vaselines wie zwei, drei andere Bands (die Meat Puppets, Beat Happening) irrsinnig liebte, unterstützte und schließlich zu weiteren Konzerten und Aufnahmen überredete. Also erschien eine Kompilation auf dem Heimatlabel des Grunge Rocks, Sub Pop, und die Vaselines, obwohl zerstritten, spielten in Edinburgh als Vorband zu Nirvana. Dann aber zog die Geschichte wieder woanders hin, die Vaselines wurden vergessen, in Schottland wurden Teenage Fanclub und später Belle & Sebastian berühmt, und Frances McKee und Eugene Kelly gingen getrennte Wege und kümmerten sich um andere Dinge.
Kantiger Humor
Inzwischen haben die beiden – aus welchen Gründen auch immer (Langeweile, missratene Folgeprojekte und misslungene Solokarrieren) – wieder zusammengefunden. Nicht als Paar, aber als Duo, und das reicht auch. Frances ist eine anderweitig verheiratete Frau mit Charme und kantigem Humor, Eugene ein seriöser Herr im schwarzen Hemd mit Trägerweste, der Gitarre kann und denselben Humor hat. Älterwerden muss also nicht schlimm sein, und britische Eltern zu haben ist bestimmt nicht das Schlechteste.
Im letzten Jahr ist nun die neue Platte, „Sex with an X“, erschienen, und die Vaselines touren als Quintett durch die Welt – verstärkt durch Stevie Jackson und Bobby Kildea, beide von eben Belle & Sebastian, sowie Charlie Kelly am Schlagzeug. Am Montagabend im Comet Club eröffnete das befreundete Paar von Schwervon! aus New York für die Band; das Publikum war wohltuend eher älteren Semesters, und es lag auch eine seltsame Nostalgie in der Luft, ohne dass es gleich unangenehm ehrrührig wurde. Lag an der Band selbst – McKee und Kelly hatten gute Laune und rissen anzügliche Witze; erst mit der Zeit wurde klar, dass sie auf ein begriffsstutziges Publikum gestoßen waren, das offensichtlich weder mit dem Humor noch mit dem schottischen Akzent zurechtkam.
Zu kalt für Sex
Machte aber nichts, schließlich gab es ja Musik. Und da schien es, als ob die neuen Stücke wuchtiger und energischer daherkamen als die alten Hits. Eugene Kelly ließ es sich nicht nehmen, Rocksoli zu spielen, und insgesamt ließe sich das Wort „Country Punk“ für diesen sehr geradlinigen Schrammelindierock verwenden, wenn nicht diese kleinen, bizarren, charmanten Momente durchschimmerten, die besonders die alten, von Nirvana gecoverten Songs ausmachten, „Jesus Doesn’t Want Me For a Sunbeam“, „Molly’s Lips“ und natürlich „Son of a Gun“. Und es waren auch diese drei Stücke, wegen denen ein Großteil des Publikums gekommen war – es hätten übrigens ruhig mehr Leute da sein können. So gab es zarte Ansätze von Pogo, freudig errötete Gesichter, Vorstellungen von „damals“.
Und dazu eben die anzüglichen Witze auf der Bühne, und unten durch die Köpfe rotierende Liedzeilen wie „You look so right, you must be wrong for me“. Oder eben „The sun shines into the bedroom, when we play, and the rain only starts when you go away“. Gute Band, gutes Konzert. In Schottland, sagt man, haben die Leute keinen Sex, weil es einfach zu kalt sei, um sich auszuziehen. Daher rede man lieber darüber oder mache Songs. In Berlin ist es derzeit übrigens auch sehr kalt. RENÉ HAMANN