: Alle Ägypter müssen auf den Platz
NORA MBAGATHI
Unsere Autorin, 23 Jahre alt und Berlinerin, studiert seit drei Jahren in Kairo. Sie berichtet vom Alltag im aktuellen Chaos der Proteste gegen Staatspräsident Husni Mubarak.
Und ihr dachtet alle, ich bin zimperlich!“ Kuta zieht ihre Hose hoch und entblößt auf ihrem linken Bein einen Bluterguss in der Größe einer Bratpfanne. Den und eine Platzwunde am Kopf hat sie sich zugezogen, als die Staatspolizei anfing, mit Gummiknüppeln auf Demonstranten einzuprügeln.
Trotz ihrer Schmerzen schläft die 22-jährige Regisseurin seit drei Tagen jede Nacht auf dem Tahrir-Platz. Tagsüber kommt sie zu mir ins Haus, um sich etwas auszuruhen. Am frühen Abend geht sie dann wieder zurück.
Bisher hatte Kuta außer viel Schlaf und gutem Essen eigentlich nur ihre Arbeit im Kopf. Ich weiß, dass sie politisch interessiert ist, doch ich kenne sie nicht als passionierte Aktivistin. Jetzt sagt sie: „Das ist nicht irgendeine Demonstration, es ist eine Revolution. Wir tun das nicht für die Rechte anderer, wir tun das für uns selbst, und daher müssten alle Ägypter hier auf dem Platz sein.“
Sauer ist sie auf eine gemeinsame Freundin, von der sie findet, dass die sich in diesen Tagen hinter Twitter-und Internetaktivitäten versteckt. Das ist kompliziert, weil das Netz ja offiziell gesperrt ist. Aber Kuta meint, diese Aufgabe könne man Ausländern überlassen.
Als ich einwende, dass doch genug Leute auf dem Platz übernachten und dass wenigstens sie mit ihren Verletzungen heute Nacht zu Hause bleiben könne, reagiert sie scharf: „Unsere Schicht muss dort stärker vertreten sein.“
An ihren kurzen Haaren und den orangenen Handschuhen ist Kutas Zugehörigkeit zur oberen Mittelschicht leicht erkennbar. „Die Leute fragen mich, ob ich Ausländerin bin, oder danken mir dafür, dass auch ich bei ihnen bleibe. Das ist nicht o. k. Es muss klar sein, dass diese Proteste für uns alle sind und auch von uns allen kommen.“
Und so schaue ich ihr auch heute wieder dabei zu, wie sie ihre pinke Brille aufsetzt, Netzstrumpfhose über Netzstrumpfhose zieht und sich zum Tahrir aufmacht, wo nachts ungefähr zehn Grad herrschen: „Nach der Revolution ist es Zeit für mich, einen richtig warmen Pullover und ein ordentliches Paar Schuhe zu kaufen. Ich habe so was gar nicht“, sagt sie im Rausgehen.