Eine große Koalition für Österreich

Hundert Tage nach den Wahlen einigen sich die siegreichen Sozialdemokraten und die Konservativen auf eine Regierung unter der Führung von Alfred Gusenbauer. Für das wenig ambitionierte Programm gibt es Hohn und Spott aus der Opposition

AUS WIEN RALF LEONHARD

Österreich wird in den nächsten vier Jahren von einer großen Koalition regiert. Gestern einigten sich die sozialdemokratische Wahlsiegerin SPÖ und die geschlagene konservative Volkspartei (ÖVP) auf eine Regierung unter der Führung von SPÖ-Chef Alfred Gusenbauer. Doch die ÖVP wird weiterhin inhaltlich dominieren. Das ist nach Bekanntgabe der Grundzüge der Koalitionsvereinbarung abzusehen. Sie wird die Schlüsselressorts für Äußeres, Inneres und Finanzen besetzen. Wer die Kabinettsposten innehaben wird, blieb noch geheim. Nicht verraten wurde, ob und in welcher Funktion der noch amtierende Bundeskanzler Wolfgang Schüssel (ÖVP) in der Regierung verbleibt, und ob der umstrittene Finanzminister Karl-Heinz Grasser in die Privatwirtschaft zurückkehrt. Die Regierung soll am Donnerstag vereidigt werden.

Hundert Tage hat es gedauert, bis sich das Ergebnis der Nationalratswahlen vom 1. Oktober 2006 in einer Regierungsvereinbarung niederschlug. Die ÖVP haderte bis zuletzt über die verlorene Wahl. Als das Parlament Ende Oktober zwei Untersuchungsausschüsse zur Prüfung der Finanzmarktaufsicht und des geheimnisumwitterten Beschaffungsvorgangs von 18 Eurofightern einsetzte, zog sich die ÖVP für mehr als vier Wochen vom Verhandlungstisch zurück.

Eine große Reformagenda haben sich die Koalitionspartner nicht vorgenommen. Und bei den Streitpunkten fanden die Verhandlungspartner wachsweiche Kompromisse. So werden die umstrittenen Studiengebühren, die Gusenbauer abschaffen wollte, bleiben. Allerdings können Studierende statt der 363 Euro pro Semester auch 60 Stunden Sozialarbeit ableisten.

Bei den Eurofightern, die rund 2 Milliarden Euro kosten und das Budget mit extrem hohen Betriebskosten auf Jahre belasten werden, will die Regierung nicht das Ergebnis des Untersuchungsausschusses abwarten. Gusenbauer will hingegen den neuen Verteidigungsminister beauftragen, nachträglich Rabatte herauszuschinden.

Zu den geringen Verhandlungserfolgen der SPÖ gehört mehr Wahlfreiheit beim Kindergeld, dessen Reform SPÖ und Grüne schon lange fordern. Derzeit werden 436 Euro monatlich maximal zweieinhalb Jahre lang an einen Ehepartner und gegebenenfalls noch sechs Monate (30 + 6) an den anderen Partner ausgezahlt. Als Alternative wird jetzt die Lösung 15 + 3 angeboten. Wenn beide Elternteile sich die Betreuung nach diesem Schlüssel teilen, können sie monatlich 800 Euro beziehen. Das ist etwas mehr als die Grundsicherung, die ähnlich wie Hartz IV an Bedürftige ausgezahlt werden soll.

Von der Opposition gab es in ersten Reaktionen nur Kritik und Hohn für die SPÖ. Die Koalitionsparteien würden die zentralen Zukunftsfragen nicht erkennen, sagte Grünen-Chef Alexander Van der Bellen. Zudem habe die SPÖ „vor den Wahlen den Mund so voll genommen und alles versprochen, wovon sie naturgemäß sehr wenig einhalten kann“.