: Eine Wunderkammer voll mit Kaschmir
In 73 Arbeitsschritten zu Understatement, Glamour und Eleganz: Die gelungene Ausstellung „Coats! Max Mara, 55 Jahre Mode aus Italien“ in der Berliner Kunstbibliothek kreist nicht nur um das italienische Modelabel, sondern blättert die Geschichte des Damenmantels insgesamt auf
VON BRIGITTE WERNEBURG
Offenbar sind die Zeiten vorbei, nicht aus modischen, sondern aus klimatischen Gründen, in denen man noch Wert auf einen anständigen Wintermantel legen musste. Zurzeit jedenfalls kommt man mit einer warmen Jacke durch. Schade, wie man in „Coats! Max Mara, 55 Jahre Mode aus Italien“, der aktuellen Ausstellung der Berliner Kunstbibliothek, schnell erkennt.
Die Parade der rund 70 ausgestellten Originalmodelle und vor allem die kleine, aber feine historische Einführung in die Geschichte des Damenmantels, machen sofort deutlich, welchen Gewinn dieses Kleidungsstück für die Frau bedeutet. Historisch betrachtet ist der Mantel ein relativ junges Element der Frauenkleidung. Als dezidiert mit der Straße und dem Stadtraum verbundenes Kleidungsstück entwickelte er seine moderne Form erst im 19. Jahrhundert, als die Präsenz der Frauen in der Öffentlichkeit selbstverständlich wurde. Im 20. Jahrhundert entstand ein breites Spektrum verschiedener Mäntel für ganz unterschiedliche Anlässe.
Obwohl der Titel der Ausstellung es nahelegen könnte, in ihr allein eine Werbeveranstaltung für die italienische Traditionsmarke zu sehen, entkräftigt ein Besuch diesen Einwand sofort. Denn selten wurde in den letzten Jahren die Mode so differenziert in ihren vielfältigen Aspekten betrachtet wie hier – gerade weil sich die Ausstellung auf deren industrielle Erscheinungsform konzentriert. Die große Armani-Schau vor drei Jahren jedenfalls war in ihrem simplen Fokus auf den Meister geradezu läppisch aufbereitet im Vergleich zu „Coats!“ – dabei steht auch Armani für Konfektion.
Die industrielle Fertigung hochwertiger Kleidung, wie sie speziell Max Mara seit der Firmengründung 1951 durch Achille Maramotti auf den Markt bringt, zeichnet sich dadurch aus, dass der Entwurf – auch und gerade – als Ware dennoch den Reiz des spekulativen, ephemeren, gegen jede Alltagstauglichkeit gerichteten Charakters der Mode nicht verliert. Zunächst lag dies an Achille Maramottis Orientierung an der französischen Haute Couture und deren Stars wie Dior, Givenchy oder Balenciaga. Auf wohl einzigartige Weise verstand es Maramotti, den besonderen Kniff ihrer Entwürfe in ein gemäßigteres Industriedesign von latenter Klassikerqualität zu überführen. In späteren Jahren überließ er diese Aufgabe Designern wie Karl Lagerfeld oder Jean Charles de Castelbajac dann selbst, die er wie Anne Marie Beretta, Guy Paulin oder Lucian Soprani für eine Reihe von Kollektionen engagierte. Früh schon erkannte Maramotti die Bedeutung der englischen Mode für eine junge Käuferinnenschicht und präsentierte im Herbst/Winter 1965/66 eine eigens für jugendliche Konsumentinnen entworfene Kollektion unter dem Label „Pop“, aus dem später „Sport Max“ wurde.
So wie sich Achille Maramotti modisch nach Frankreich und England orientierte, so lernte er in produktionstechnischer Hinsicht von Amerika. Denn Italien war, was heute kaum vorstellbar ist, ein Land der Privatschneider, als der promovierte Jurist Max Mara gründete. Eine Konfektionsindustrie, wie sie zum Beispiel in Berlin schon seit der Jahrhundertwende existierte, kannte man nicht. Der alteingesessenen, traditionsbewussten bürgerlichen Mittelschicht Italiens eine Alternative zur Provinzialität ihres ansässigen Schneiders zu bieten, bedeutete durchaus ein Risiko. Daher beschränkte sich Maramotti auch zunächst auf die sogenannte Schulterware, teure, langlebige Mäntel und Kostüme, und ebnete damit dem späteren Standard „Made in Italy“ als Synonym für qualitativ hochwertige modische Kleidung den Weg.
„Coats!“ gelingt es nun, die komplexe Geschichte, für die das Label Max Mara steht, auf stupende Weise darzustellen. Es geht dabei nicht nur um beispielhaftes Unternehmertum, sondern auch um den gesellschaftlichen und ökonomischen Strukturwandel, wie er sich in Italien in den 1950er- und 1960er-Jahre vollzog, es geht weiter um die Rolle der Mode in diesem Prozess, sichtbar gemacht am Beispiel des Mantels. Großes Verdienst am Gelingen der Schau kommt neben der Leiterin der Lipperheideschen Kostümbibliothek, Adelheid Rasche, die als Kuratorin die intelligente Ausstellungskonzeption entwickelte, dem Mailänder Architektenbüro „Migliore + Servetto“ zu. Ihm gelang es, die relativ kleine Ausstellungshalle in eine kompakte, verblüffend reichhaltige Wunderkammer umzubauen. Dank einer gewitzt entwickelten Inneneinrichtung kann eine Unmenge Material gezeigt werden, angefangen bei historischen Radierungen, Lithografien und Drucken über eine Reihe von Vintage-Mänteln und -kostümen von Dior, Balenciaga oder Chanel aus der Modesammlung von Max Mara bis hin zu Entwurfsskizzen und bislang unveröffentlichten Fotografien aus dem Archiv des Unternehmens. Dazu kommen Realobjekte, Zeitschriften, Foto- und Videoprojektionen, etwa die des ersten Max-Mara-Werbefilms von 1968, der von keinem Geringeren stammt als Sergio Leone, der ein Jahr zuvor mit „Spiel mir das Lied von Tod“ das Meisterwerk des Italo-Westerns geschaffen hatte.
Tatsächlich wird nicht zuletzt in Leones kleinem Werbefilmchen die große Rolle sichtbar, die der Presse- und Medienarbeit bei Max Mara von Beginn an eingeräumt wurde, bei der Etablierung des Unternehmens wie bei seiner nachfolgenden Expansion. In den Bildern berühmter Fotografen und Models werden die raffinierten Strategien sichtbar, mit denen die Marke nicht nur als hochwertig und elitär, sondern auch als hip und glamourös beworben und vermarktet wird. Den schönsten Kontrast dazu bietet dann der letzte Ausstellungsraum mit seinen Multimediakonsolen, die das Geheimnis der industriellen Fertigung lüften, indem sie die Übersetzung des Entwurfs in eine Zahlenreihe anschaulich machen, die produktionstechnische wie ökonomische Aspekte codiert und standardisiert.
Nicht verwunderlich ist deshalb, dass der Max-Mara-Klassiker einfach 101801 heißt. Der 1981 von Anne Marie Beretta entworfene, maskulin geschnittene Kaschmirmantel, der in nicht mehr verbesserbarer Weise Understatement, Eleganz wie Glamour ausstrahlt, wird bis heute unverändert produziert. Die Nummer 101801 lässt das ganze Unternehmen, in jeder seiner Abteilungen auf andere Art, wissen, in welcher Weise und welcher Abfolge dieser Mantel in 73 Arbeitsschritten in knapp drei Stunden gefertigt wird; und welche realen Kosten, Investitionen, Vorratshaltungen etc. damit verbunden sind.
Die Kreativität, die einem Unternehmen wie Max Mara seine Marktposition sichert, begreift heute selbst den Maschinenpark mit ein. Der Entwurf allein bedeutet nichts, weshalb Max Mara folgerichtig bis heute keine Designerstars kennt und nennt, mit denen die Modelle identifiziert werden. Ein Originalentwurf wird bei Max Mara erst dann als gelungen betrachtet, sagt Luigi Maramotti, Sohn Achille Maramottis und heutiger Präsident des Verwaltungsrates, „wenn er ein real existierendes Kleidungsstück wurde, das von echten Frauen innerhalb des echten Marktes ausgewählt wurde“.
Bis 4. März, Katalog (Skira) 50 €; 17. Januar Vortrag von Adelheid Rasche und Christine Waidenschlager, „Coats! Eine kleine Geschichte des Damenmantels“, 18 Uhr, Kulturforum, Potsdamer Platz, Berlin