: Rasen für die Grundsicherung
250 Euro pro Jahr und Bürger: Dieser Einstieg in die Grundsicherung lässt sich problemlos durch mehr Ökosteuer finanzieren. Arme Haushalte würden profitieren
Machen wir ein Gedankenexperiment. Der Liter Sprit wird 10 Cent teurer, der Liter Heizöl und der Kubikmeter Erdgas auch. Der Preis einer Kilowattstunde Strom steigt um 1 Cent, und der Preis einer Tonne Kerosin um 100 Euro. Und weil Umweltverbrauch nicht nur im Energiesektor stattfindet, wird auch eine Abgabe auf Flächenverbrauch erhoben – sagen wir mal: 5 Euro pro Quadratmeter.
Abzocke? Halt! Dieses viele Geld versickert nicht in den öffentlichen Haushalten. Es kommt in einen großen Topf, und der ist zum Jahresende prall gefüllt: Gut 5 Milliarden Euro aus der Spritsteuer, 3 Milliarden vom Heizöl, 4,5 Milliarden vom Erdgas, 5,5 Milliarden vom Strom, 700 Millionen vom Kerosin und 2 Milliarden aus der Flächenabgabe. Macht rund 20 Milliarden Euro, die den Bürgern gehören – und deswegen komplett an sie zurückfließen. Die Rückzahlung geschieht nun pro Kopf, vom Baby bis zum Greis. 20 Milliarden auf 82 Millionen Bürger verteilt, das sind rund 250 Euro jährlich für jeden.
Warum nun das Ganze? Es ist nicht nur die Neuauflage der Ökosteuer, es ist zugleich die erste Stufe eines Grundeinkommens. Denn wir verknüpfen das in jüngster Zeit viel diskutierte Instrument der sozialen Absicherung mit dem ökologischen Umbau der Wirtschaft. Die Vorteile für beide Modelle sind bestechend: Erstens haben wir endlich ein konkretes Finanzierungsinstrument geschaffen – und damit ein Problem gelöst, um das sich mancher Protagonist des Grundeinkommens bislang herum mogelt. Zweitens beseitigen wir das Hauptproblem der bisherigen Ökosteuer: Weil der Rückfluss der Einnahmen an die Bürger schwer vermittelbar war, hatte sie stets Akzeptanzprobleme. Ein regelmäßig eintreffender Scheck wird gleich viel mehr Begeisterung für die Ökosteuer hervorrufen.
Zudem ist dieses Modell über alle sozialpolitischen Zweifel erhaben. Denn durch die Ausschüttung pro Kopf profitieren vor allem Familien und ärmere Menschen – denn sie zahlen weniger ein, als sie schließlich erstattet bekommen. Das lässt sich leicht kalkulieren, zum Beispiel beim Benzin: Allein aus der Benzinsteuer ergibt sich nach heutigen Daten eine Ausschüttung von 62 Euro pro Kopf jährlich. Wer nun 620 Liter Sprit im Jahr verbraucht, für den ist das ein Nullsummenspiel. Wer aber weniger Treibstoff verbrennt, und das sind vor allem ärmere Menschen, der profitiert durch höhere Kaufkraft. Und da das Geld wie gesagt pro Kopf ausgezahlt wird, kann eine vierköpfige Familie fast 2.500 Liter Sprit im Jahr verbrauchen, ohne in der Gesamtbilanz zusätzlich belastet zu werden. Das ist eine Tankfüllung jede Woche.
Natürlich verteuern höhere Energiekosten auch all jene Produkte, die unter hohem Energieeinsatz gefertigt werden. Doch die Logik des Modell garantiert, dass in der Gesamtbilanz immer jene an Kaufkraft gewinnen, die weniger konsumieren als der Durchschnittsbürger. Beim Haushaltsstrom profitiert, wer weniger als 1.500 Kilowattstunden pro Kopf jährlich verbraucht, beim Kerosin liegt die Schwelle bei etwa einem Flug pro Jahr. Wer arm ist und gar nicht fliegt, ist folglich der größte Gewinner. Es zahlt hingegen drauf, wer häufig in die Luft geht, und der gehört naturgemäß nicht zu den Bedürftigen.
Nicht nur sozialpolitisch, auch arbeitsmarktpolitisch ist das System attraktiv: Maschinen tragen plötzlich zur Finanzierung des Sozialstaats bei. Jede Kilowattstunde, die ein Industrieroboter verbraucht, liefert schließlich ein Stück Grundeinkommen. Gegenüber der Mehrwertsteuer hat die Ökosteuer den Vorteil, dass sie menschliche Arbeit, also Dienstleistungen, nicht belastet – das schafft Arbeitsplätze.
Nun reichen natürlich 250 Euro pro Jahr als Grundeinkommen nicht aus. Doch ist dies ja auch nur der erste Schritt. Wie bei der Ökosteuer wird die Abgabe in jährlichen Schritten erhöht. Nach 20 Jahren sind wir dann bei rund 5.000 Euro im Jahr oder gut 400 Euro im Monat, die als Grundeinkommen an alle zu verteilen sind.
Natürlich haben Sie’s gemerkt: Das Ganze ist eine Milchmädchenrechnung geworden. Denn wir gehen bisher davon aus, dass der Umweltverbrauch trotz der steigenden Abgaben unverändert hoch bleibt – aber er würde natürlich tendenziell sinken. Das ist, nebenbei bemerkt, gewollt. Denn unser Gedankenmodell propagiert ja nicht allein ein Grundeinkommen, sondern ist zugleich auch ein Umweltprogramm. In der Schweiz ist für solche (zugegeben: moderateren) Modelle übrigens das schöne Wort Lenkungsabgabe sehr populär.
Das Problem liegt nun darin, dass sich der Einspareffekt, den Ökonomen als die „Preiselastizität der Nachfrage“ bezeichnen, nicht beziffern lässt. Sicher ist nur, dass die Verbraucher ihre Konsumgewohnheiten ändern werden, wenn Umweltverbrauch verteuert wird. Über die Höhe der langfristigen Einnahmen kann man also nur spekulieren: Sind nach 20 Jahren womöglich nur 3.000 statt 5.000 Euro pro Kopf zu verteilen, weil die Menschen ihre Häuser gedämmt haben, weil sie öfter Bahn statt Auto fahren und weil sie weniger fliegen?
Keiner weiß es. Und deswegen handelt es sich bisher um ein Gedankenspiel und kein fertiges Konzept für Jahrzehnte. Das Projekt muss langsam wachsen und stetig nachjustiert werden – zum Beispiel durch weitere Einnahmequellen. So wäre auch eine Ökosteuer auf Atombrennstäbe denkbar. Die Versteigerung der Emissionsrechte für Kohlendioxid könnte Milliarden bringen; derzeit bekommen sie die Firmen in Deutschland geschenkt. Man könnte auch – um die sozialen Aspekte überproportional zu betonen – eine Art Luxussteuer in das System aufnehmen. Dann würden zum Beispiel Luxusprodukte wie der Luftverkehr noch stärker belastet. Wichtig ist, dass bei allen Nachbesserungen der Grundgedanke niemals in Frage gestellt wird: Umweltverbrauch finanziert Grundeinkommen.
Denn das Projekt lebt von seiner Verlässlichkeit. Ein Hausbesitzer zum Beispiel, der seine Immobilie wärmedämmt, möchte sicher sein, dass sich das tatsächlich lohnt; also braucht er die Garantie, dass Energie teuer bleibt. Ohnehin müssen die Einnahmen jährlich wachsen, wenn die Ausschüttung eines Tages tatsächlich die Rolle eines Grundeinkommens übernehmen soll. Mit Kleinkram wie die bisherige Ökosteuer wird man nicht weit kommen.
Getrennt betrachtet werden sowohl das Grundeinkommen wie eine wirksame Ökosteuer Fiktion bleiben. Das Grundeinkommen allein ist unfinanzierbar, während die Ökosteuer ohne die Ausschüttungen an Akzeptanzproblemen scheitern wird. Beide Instrumente zusammen jedoch sind ideale Partner – denn beide können nicht schlagartig eingeführt werden, sondern müssen langsam wachsen. „Revolutionär denken, evolutionär umsetzen“, sagt gern der Wortführer des Grundeinkommens und Chef der Drogeriemarktkette dm, Götz Werner. Ein Satz, der für die Ökosteuer gleichermaßen gilt.
BERNWARD JANZING