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Archiv-Artikel

Wer unerkannt im Internet surfen will, ist verdächtig

KONTROLLE Die NSA-Programme nehmen einen Erlanger Studenten ins Visier, der einen wichtigen Server beim Anonymisierungsnetzwerk Tor betreibt

Wie die Häute der Zwiebel

■ Das ist es: Tor (The Onion Router) ist ein Netzwerk von Servern, die weltweit verstreut stehen. Wer bei Tor angemeldet ist, kann anonym in Internet surfen.

■ So funktioniert es: Will ein Nutzer eine Website aufrufen, wird seine Anfrage durch zahlreiche dieser Tor-Server – weltweit gibt es etwa 5.000 – geschleust, bis nicht mehr zu erkennen ist, von welchem Computer sie ursprünglich ausgegangen ist.

■ Wer es nutzt: Vielerorts sind solche Anonymisierungsnetze für Nutzer wichtig, um von Zensur gesperrte Seiten aufsuchen oder generell unbeobachtet kommunizieren zu können.

BERLIN taz | Am Tag nachdem öffentlich wurde, dass sein Server vom US-Geheimdienst NSA ausgespäht worden ist, schickt Sebastian Hahn einen Tweet an die Welt: „Wenn du jemals überlegt hast, Tor zu unterstützen, jetzt wäre ein exzellenter Zeitpunkt, damit zu beginnen. Privatsphäre zählt, sogar deine.“

Hahn studiert an der Uni Erlangen-Nürnberg Informations- und Kommunikationstechnik. Nebenher arbeitet der 24-Jährige ehrenamtlich für das Anonymisierungsnetzwerk Tor. Nun hat Hahn erfahren: Auch der Server, den er für Tor angemeldet hat, ist Zielobjekt der NSA.

Aufgedeckt hat das eine Recherche von WDR und NDR. Deren Journalisten fanden heraus, dass die IP-Adresse von Hahns Server in der XKeyscore-Software des amerikanischen Geheimdienstes NSA aufgetaucht ist als eines der Objekte, die überwacht werden. In der Folge sollen Hunderttausende Nutzer von Hahns Server markiert und deren Verbindungen gespeichert worden sein – um so zu beobachten, wer das Anonymisierungsnetzwerk nutzt. Die NSA kann so nur die IP-Adressen der Nutzer identifizieren, aber nicht zwingend, wie sie Tor verwendet haben. Wie die Sender berichten, reicht es schon, eine Website von Tor zu besuchen oder in einer Suchmaschine nach Tor zu fahnden, um für die NSA verdächtig zu wirken. Offenbar will der US-Geheimdienst jene identifizieren, die unerkannt ins Internet wollen. Im NSA-Programmcode von XKeyscore werden sie als „Extremisten“ bezeichnet.

Lohnenswertes Ziel

Hahn betreibt nach eigener Auskunft in einem Nürnberger Rechenzentrum einen der Kernserver der Tor-Community, einen von neun sogenannten Directory Authorities: Dort werden mehrere Tausend weitere Tor-Server aufgelistet, über die sich Nutzer anonym ins Netzwerk einklinken können. Über die NSA-Ausspähung sei er „schockiert“, teilte Hahn auf Anfrage mit. Aber: „Jeder Deutsche ist täglich von ungerechtfertigten Überwachungsmaßnahmen betroffen, ohne dass es bekannt wird.“ Dass das Tor-Netzwerk in den Blick der NSA geraten würde, sei aber nach den Snowden-Enthüllungen abzusehen gewesen. Und sein Server sei eben eines der „lohnenswertesten Ziele“.

Neben dem Server, den Hahn betreibt, taucht in dem Quellcode des NSA-Überwachungsprogramms XKeyscore laut den Recherchen von WDR und NDR noch eine weitere deutsche IP-Adresse auf, die auf Server des Chaos Computer Clubs zurückgeht. Dessen Sprecherin Constanze Kurz bestätigte dies auf Anfrage und bezeichnete die Vorgänge als „ein weiteres Puzzleteil in der ideologischen Ausrichtung“ der NSA – indem Leute gebrandmarkt würden, die sich gegen Auswertung wehrten. „Es ist eine Frechheit, alle, die auch nur nach Tor suchen, als Extremisten abzustempeln“, so Kurz weiter. All das sei ein „weiterer Sargnagel für diese Geheimdienste und ihre Partner“. Das Tor-Netzwerk soll seinen Nutzern ermöglichen, im Internet unbeobachtet zu kommunizieren – eine Möglichkeit, die insbesondere für Menschen in autoritären Regimen immens wichtig sein kann. Besonders pikant: Finanziell wird das Tor-Netzwerk bis heute vom US-Verteidigungsministerium und vom Außenministerium unterstützt.

Hahn will sich von der jetzt bekannten Spionage nicht einschüchtern lassen. „Ich fühle mich bestätigt auf meinem Weg“, ließ er wissen. Selbstverständlich werde er weiter für Tor aktiv sein – und „dafür werben, dass andere es mir gleichtun“.

K. LITSCHKO, L. SANDER, M. LAAFF