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Archiv-Artikel

Jetzt hilft nur weiterwachsen

TANZ In Strukturen investieren: Vor fünf Jahren schob der Tanzplan in neun Städten Projekte an. Bilanz einer modellhaften Förderung

Die überdurchschnittliche Durchschlagskraft des Tanzplans hat dazu geführt, dass das Projekt auch international Nachahmer gefunden hat, beispielsweise in Australien und der Schweiz

VON ESTHER BOLDT

Vor fünf Jahren konnte sich kaum einer vorstellen, was das sein sollte: ein Tanzplan für Deutschland. Heute hat das Mammutprojekt der Kulturstiftung des Bundes vielerorts Folgen gezeitigt: Es wollte den Tanz, dieses vernachlässigte Aschenbrödel der Künste, auf nationaler Ebene in die Wahrnehmung rücken und seine strukturellen Bedingungen stärken.

Aus dem anfänglichen Vorhaben der Bundeskulturstiftung, dafür ein Festival zu gründen, ist ein umfassender Strukturentwicklungsplan geworden – eine Idee von Projektleiterin Madeline Ritter: „Ich wollte, dass etwas bleibt. Daher habe ich vorgeschlagen, mit mehreren Städten auf fünf Jahre zu arbeiten und zu sehen, was man vor Ort verbessern kann. Denn das Initiativprojekt der Kulturstiftung sollte beides leisten, Sichtbarkeit und politische Stärkung für den Tanz herstellen. Letzteres kann ein Festival nicht leisten.“

So ruht Tanzplan mit einem Budget von 12,5 Millionen Euro primär auf regionalen Strukturen: In neun Städten entwickelten Institutionen und Protagonisten des Tanzes Konzepte für lokale Tanzpläne, Städte und Länder finanzierten die Projekte anteilig. Mit dieser örtlichen Anbindung sollte nicht nur gewährleistet sein, dass jeder Standort genau das bekommt, was er braucht, sondern auch, dass die Projekte nach Ablauf der Förderung durch Tanzplan Deutschland 2010 fortbestehen können.

Heute, nach fünf Jahren, halten fünf beteiligte Städte – Frankfurt, Hamburg, Berlin, Dresden und Potsdam – an dem Entstandenen fest. Hier hat das Pilotprojekt Tanzschaffende, -wissenschaftler und -experten zusammengebracht, Kräfte gebündelt und dem Tanz so zu einer besseren Standfestigkeit verholfen.

Tanzlabor_21

Etwa beim finanziell wie strukturell größten Tanzplan vor Ort in Frankfurt am Main, dem Tanzlabor_21: Das entwickelte Dieter Heitkamp, Leiter des Studiengangs Zeitgenössischer und Klassischer Tanz an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst (HfMDK), zusammen mit dem Intendanten des Mousonturms Dieter Buroch und Heiner Goebbels, Direktor der Hessischen Theaterakademie. In Verbindung von öffentlicher Hand und einer eigens begründeten Stiftungsallianz ist das Projekt nun für weitere fünf Jahre gesichert, seine Bausteine Profitrainings, Masterclasses, Residenzen (die mehrmonatige Unterstützung von Aufenthalt und Arbeit eines Choreografen), Tanz in Schulen und Sommerlabor werden fortgesetzt. Auch für die beiden neuen Masterstudiengänge sieht es gut aus: Zeitgenössische Tanzpädagogik an der HfMDK wurde ins Hochschulprogramm übernommen, über die Zukunft des Studiengangs Choreografie und Performance am Institut für Angewandte Theaterwissenschaft in Gießen wird im Februar entschieden.

„Das Tanzlabor ist ein vergleichsweise kleinteiliges Projekt, das auf Synergieeffekte setzt“, sagt Professor Gerald Siegmund von CuP. „Inhaltlich hat es vieles angestoßen, sodass sich langsam eine kleine freie Tanzszene in Frankfurt etabliert.“ Das Tanzlabor stärkte das Selbstbewusstsein der lokalen Akteure: Heute setzt sich eine Reihe junger Künstler für die Verbesserung ihrer Arbeitsmöglichkeiten ein, unterstützt von der Forsythe Company und den Hochschulen. „In Frankfurt funktioniert das Ineinandergreifen von Institutionen sehr gut“, erzählt Siegmund, „und es gibt einen Pool von Tänzern, die sich engagieren und ein Interesse haben, ihre Arbeit hier zu verstetigen.“

Gut gebildeter Nachwuchs

Gerade in der Förderung junger Künstler hat Tanzplan mit seinen frisch begründeten Studiengängen in Berlin und Frankfurt, mit transdisziplinären Austauschprojekten in Essen, Kinder- und Jugendprojekten in München und Düsseldorf einen engagierten, gut gebildeten Nachwuchs hervorgebracht. Offen ist nun, wie die gerade angelaufenen Karrieren unter verschärften finanziellen Bedingungen ihre Fortsetzung finden, wenn an einigen Orten die Existenz gerade etablierter Institutionen auf dem Spiel steht.

Wo die Kommunikation zwischen Politik und Tanzschaffenden gestärkt und politische Überzeugungsarbeit geleistet wurde, geht es leichter weiter. Schwerer haben es Solitäre mit einer spezifischen Agenda wie das Residenzprogramm der fabrik Potsdam und des eigens begründeten choreografischen Zentrums K3 auf Kampnagel in Hamburg.

Die Zukunft von K3 ist noch ungewiss, seine Lage durch die Auflösung der schwarz-grünen Regierungskoalition komplizierter geworden. „Hier bemühen sich alle Seiten sehr“, berichtet Projektleiterin Kerstin Evert, „sowohl die Kulturbehörde als auch der aktuelle Senator Reinhard Stuth. Doch aufgrund der Neuwahlen ist unklar, wann der Doppelhaushalt 2011/12 verabschiedet werden kann.“

Um seine ebenso interessante wie wichtige Arbeit fortsetzen zu können, benötigt K3 jährlich 300.000 Euro. Evert zieht eine positive Bilanz der letzten Jahre, in denen unter anderem jährlich drei neunmonatige Arbeitsstipendien an Choreografen vergeben wurden. Diese belebten auch die regionale Szene, sechs von neun Residenten blieben in Hamburg. „Für unseren Tanzplan vor Ort wie für viele andere auch gilt: Alle Projekte haben so gut angeschlagen, dass die dringende Konsequenz heißt, dass man wachsen müsste.“

Wie die künstlerische Ausbildung auf die Entwicklungen des professionellen Feldes reagieren kann, das erprobte das Pilotprojekt Hochschulübergreifendes Zentrum Tanz (HZT) in Berlin mit seinen drei choreografischen Studiengängen. Getragen wird das Zentrum von der Universität der Künste Berlin und der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“. Direktorin Eva-Maria Hoerster ist zufrieden: „Aus der Evaluierung der Pilotphase geht hervor, dass unsere Absolventen ganz gut unterwegs sind: Fast alle produzieren, arbeiten in Produktionen als Performer, erhalten Residenzen.“ Das liege nicht zuletzt am hohen Engagement der Studierenden und guten, vernetzten Gastdozenten wie Nik Haffner, deufert + plischke und Franz Anton Cramer.

Auch auf die Berliner Szene strahlt die Arbeit des HZT ab, viele bleiben, produzieren bei den Tanztagen oder im Hebbel-Theater am Ufer (HAU), einige internationale Absolventen pendeln heute zwischen Berlin und ihrer Heimat – sei es nun Zagreb, Wien oder Griechenland. „Sie versuchen, hier eine Anbindung zu halten und sich trotzdem darauf zurückzubeziehen, woher sie kommen“, so Hoerster.

Kinderkrankheiten

Die Entwicklung der Studiengänge schildert sie ähnlich wie Gerald Siegmund: Es braucht einige Zeit, um die Kinderkrankheiten zu diagnostizieren und herauszufinden, was die neuen Ausbildungsgänge wirklich benötigen. Folglich wurden die Curricula zweier Master- und eines Bachelorstudiengangs nach ihrer Evaluierung noch einmal verändert, Rückmeldungen der Studierenden sowie die Erfahrungen der Lehrenden flossen ein.

Als erstes nationales Förderprojekt hat Tanzplan Deutschland weitgehende Entwicklungen angeschoben und zu Nachhaltigkeit angestiftet, etwa 80 Prozent der initiierten Projekte werden fortgesetzt. Dabei war für Madeline Ritter die Freiheit zu scheitern inbegriffen: „Das anfängliche Konzept des Festivals umzudrehen und etwas zu machen, was keiner kannte, zeugt von einer hohen Risikobereitschaft der Bundeskulturstiftung, die ich von anderen Förderern nicht kannte.“ Seine überdurchschnittliche Durchschlagskraft hat dazu geführt, dass das Projekt auch international Nachahmer gefunden hat, beispielsweise in Australien und der Schweiz. Heute steht das ehemalige Aschenbrödel blank geputzt und selbstbewusster da.