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Archiv-Artikel

„Es gab doch eine gewisse Normalität, in Grenzen“

DER PERSONENSCHÜTZER Vor der Wende war Bernd Brückner für die Sicherheit von Erich Honecker zuständig, heute bildet er Objektschützer aus und betreibt eine Fachschule für Altenpflege – mit Beziehungen bis nach Vietnam. Ein Gespräch über vergangene Zeiten, neue Anforderungen und darüber, wie sich beides manchmal auch glücklich zusammenfügt

Bernd Brückner

■ Der Mensch: Bernd Brückner, geboren 1948 in Magdeburg als Sohn eines Polizisten und einer Sachbearbeiterin, studierte nach einer Lehre als Rinderzüchter Kriminalistik an der Humboldt-Universität in Berlin. Von 1976 bis zum Ende der DDR arbeitete er als Leibwächter des Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker, er war Kommandoleiter im Sicherungsbereich Honecker in der Hauptabteilung Personenschutz beim Ministerium für Staatssicherheit.

■ Das Nachwendische: Nach dem Fall der Mauer hieß es für Brückner „Stasi in die Produktion“. Er arbeitete unter anderem im Gleisbau und verkaufte Unterwäsche, bis er in einer ehemaligen Schule in Marzahn eine „Fachschule für Sicherheit“ eröffnete, in der er Objektschützer für die private Wirtschaft ausbildet. Mit einer Berufsfachschule für Altenpflege, in der auch Vietnamesen eingesetzt werden sollen, schuf er sich ein zweites Standbein. Brückner lebt mit seiner zweiten Ehefrau in Berlin-Joachimsthal.

■ Das Buch: Im Eulenspiegel Verlag ist jetzt das Buch „An Honeckers Seite“ erschienen, in dem Brückner von seiner Zeit als Honeckers Leibwächter erzählt. (wahn)

INTERVIEW BARBARA BOLLWAHN FOTOS JOANNA KOSOWSKA

taz: Herr Brückner, Sie waren 13 Jahre lang, bis zum Mauerfall, der Personenschützer von Erich Honecker. Seit über zehn Jahren betreiben Sie in Marzahn eine „Fachschule für Sicherheit“, wo Sie Personenschützer für die private Wirtschaft und Objektschützer ausbilden. Wie viel von Ihrem im Sozialismus erworbenen Wissen fließt in Ihre Arbeit im Kapitalismus ein?

Bernd Brückner: Ein sehr großer Part, das, was ich im Studium mitbekommen habe, meine praktischen Erfahrungen im In- und Ausland. Dass da Neuerungen im fachlich-technischen und rechtlichen Bereich einfließen, ist klar. Ein großer Teil aber von dem, was ich unterrichte, ist das, was ich in der DDR erlernt habe. Es ist nicht auf dem Müllhaufen der Geschichte gelandet.

Wenn sich im November der Mauerfall zum 25. Mal jährt, ist das für Sie Anlass zur Freude?

Ich sage es mal diplomatisch: Es ist gemischt. Durch den Mauerfall hatte ich ja erst mal meine Arbeit verloren. Ich war damals stolz auf meine Arbeit. Bis Ende 1989 war ich anerkannt, immer wenn es heikle und große Aufgaben gab, hieß es: Brückner ran. Als ich dann auf Arbeitsuche ging, war das schon ziemlich komisch. Das ging einher damit, dass es auch in meiner Ehe zu einer Krise kam.

Sie sind also notgedrungen dem Ruf vieler Demonstranten aus dem Herbst 1989, „Stasi in die Produktion!“, gefolgt?

Erst einmal war ich arbeitslos. Ich brauchte mich nirgendwo zu bewerben, ich war bekannt wie ein bunter Hund, mit mir wollte niemand etwas zu tun haben. Dann habe ich mich als Busfahrer in einem neu etablierten Busunternehmen beworben, und da sagte mir der Inhaber, dass die Kollegen nicht mit jemandem zusammenarbeiten wollten, der bei Honecker war. Die Kollegen waren ehemalige Armeeoffiziere, von Staatssicherheit und Polizei. Ich bin nur kurze Zeit Bus gefahren. Dann war ich im Fernsehbereich unterwegs, Assistenz, Aufnahmeleitung bis hin zum Schnitt.

Haben frühere Kontakte eine Rolle gespielt?

Ja, ein Redakteur vom MDR, der eine Reportage über Honecker machen wollte, brauchte einen freien Mitarbeiter und ein TV-Produzent einen Zeitzeugen. Ich erkannte für mich eine Marktchance, im TV-Bereich einzusteigen. Aber ich bekam vom MDR die Ansage, man wolle mit Stasileuten nicht zusammenarbeiten. Da habe ich wieder was Neues gesucht.

Wo sind Sie fündig geworden?

Ich habe bei meiner Exfrau Damenunterwäsche verkauft und in Wolfsburg im Gleisbau gearbeitet. Ich bin also durch mehrere Sektionen des Marktes gegangen.

Sie erzählen das jetzt amüsiert. Damals haben Sie das bestimmt nicht lustig gefunden.

Nicht im Geringsten. Aber es ging erst einmal nur um eine Arbeitsaufnahme, damit Geld für die Familie da ist, die Miete bezahlt werden kann. Das Leben musste weitergehen.

Mit welchen Gefühlen haben Sie den Fall der Mauer erlebt?

Das war ja der zweite Stoß. Der erste Stoß war, dass Honecker abgetreten wurde. Es war klar, dass der Alte irgendwann einmal aussteigen würde. Aber wir dachten, er kriegt eine Ehrenfunktion und bleibt noch ein bisschen erhalten, und wir haben unseren Job auch noch. Die Situation war für mich sehr stark negativ belastet. Was passiert mit mir, was passiert mit der Familie?

Anfang Oktober 1989 wurde Ihnen noch den „Kampforden für Verdienste um Volk und Vaterland“ verliehen, wenige Wochen später wurden Sie mehrfach degradiert. Wie sind Sie mit solch widersprüchlichen Ereignissen in so kurzer Zeit klargekommen?

Damit kann man gar nicht richtig umgehen. Während man versucht, sich innerlich zu festigen, kriegt man durch Funk und Fernsehen oder eigenes Erleben Informationen, die für die eigene Person nicht unbedingt positiv sind. Freunde sind nicht mehr da, Leute gucken weg, wechseln die Straßenseite im Wohngebiet. Mit dem Rücken gegen die Wand versucht man eine Eigensicherung durchzuführen, damit man erkennen kann, was kommt.

Wie lange hat es gedauert, bis Sie sich bei Ihrer Arbeit auf Ihre sozialistischen Wurzeln besonnen und eine Schule zur Ausbildung von Sicherheitspersonal eröffnet haben?

1996 habe ich meine jetzige Gattin kennengelernt. Sie ist in Warschau geboren und in Bayern aufgewachsen, die Mutter ist Deutsche, der Vater Pole, und sie sagt immer: Du warst beim Personenschutz eines Staatspräsidenten, das war dein Job, den hast du gut gemacht, du hast studiert und bist qualifiziert. Als meine Frau und ich die Werbung eines Berliner Bildungsträgers lasen, der eine Personenschutzausbildung anbot, meinte meine Frau, ich solle mich bewerben. Denn der Westchef des Bildungsträgers hatte Werbung und Teilnehmer, aber keinen Dozenten. Doch in meiner Beurteilung durch das Innenministerium, Verwaltung Personenschutz, stand nur: Herr Bernd Brückner wird aus dienstlicher Notwendigkeit entlassen. Er war vorher in einer anderen Sicherheitsbehörde tätig. Die Begriffe „Ministerium für Staatssicherheit“, „Hauptabteilung Personenschutz“ wurden nicht erwähnt. Ich musste aber nachweisen, dass ich nicht nur Koch oder Kraftfahrer gewesen war.

Wie haben Sie diesen Nachweis erbracht?

Mir fielen all die Fotos ein, die ich von den Reisen mit Honecker hatte.

Und die haben Sie dann als Nachweis Ihrer Qualifikation eingereicht?

Ja, und dann habe ich die Bereiche Unternehmenssicherheit, Detektivausbildung, Werkschutz, Personenschutz, Fahrdienst und so weiter aufgebaut und unterrichtet. Im Jahr 2000 bin ich dann mit meiner eigenen Sicherheitsschule auf den Markt gegangen. Nach dem ersten Lehrgang ging es peu à peu weiter, wir haben Büros in Rostock, Magdeburg, Stendal, Leinenfelde, wir haben Ausschreibungen in Osnabrück und München gewonnen und sind in ganz Deutschland unterwegs.

Sind unter den Dozenten frühere Kollegen?

Am Anfang waren es ehemalige Kollegen, Polizei, Armee, Staatssicherheit, Zoll, und ich hatte viele Absolventen der Sektion Kriminalistik der Humboldt-Universität. Aber ich habe auch Kollegen aus den alten Bundesländern. Jetzt haben wir neun fest angestellte und mehr als fünfzig freie Dozenten, wozu mittlerweile auch jüngere Dozenten gehören, die nicht in der DDR gearbeitet haben.

Jetzt ist im Eulenspiegel Verlag ein Buch erschienen, das Sie über Ihre Zeit als Honeckers Personenschützer geschrieben haben, „Der Mann an Honeckers Seite“. Im Vorwort schreiben Sie, Sie wollten Ihren Beitrag leisten zur „Entdämonisierung des als Diktator Geschmähten“. Wer dämonisiert denn den ehemaligen Staatschef?

Gucken Sie doch in bestimmte Zeitungen oder Fernsehsendungen, in denen immer wieder das Bild kommt vom winkenden Honecker auf der Tribüne und Reden von ihm. Aber er war auch Opa, Papa, Privatperson, ein normaler Mensch.

Das wird ihm niemand absprechen. Sie schreiben weiter, Honecker sei so normal gewesen, wie die DDR „ein ganz normaler Staat war“. Wie können Sie ein Land mit Mauer und Schießbefehl und ohne Reise- und Meinungsfreiheit normal nennen?

Na ja, es gab doch eine gewisse Normalität, eine Normalität innerhalb von Grenzen.

Sie beschreiben in dem Buch, mit Verlaub, viele Petitessen. Dass sich Honecker nach jeder Mahlzeit die Zähne putzte, dass der Staatschef, der keine Fahrerlaubnis hatte, ab und an einen Geländewagen im Wald selbst steuerte und mitunter mit angezogener Handbremse fuhr oder gleichzeitig Gas- und Bremspedal betätigte. Warum haben Sie das Buch geschrieben?

Der Ursprung ist, dass Frank Schumann von der edition ost [der Verlag hat etliche Bücher ehemaliger DDR-Größen veröffentlicht, Verlagschef Frank Schumann ist ein Freund der Familie Honecker; Anm. d. Red.] mir seit drei Jahren mächtig auf den Zünder geht: Bernd, du bist Zeitzeuge und hast Dokumente, mach was draus. Ich hatte mein Tagesgeschäft und kein Interesse. Doch, sagte er, das wird die Leute interessieren. Und er hat ja recht, ich habe bestimmte Kenntnisse, was hinter den Kulissen passierte und ich ließ mich dann nicht breitschlagen, sondern überzeugen. Dass man auch schmunzelt bei der Lektüre, war durchaus erwünscht.

Sie haben Honecker auf Dutzenden Staats- und Dienstreisen in der ganzen Welt begleitet. „Ich gehörte zu ihm wie die Zahnbürste und sein Nassrasierer“, beschreiben Sie in dem Buch Ihre Tätigkeit. Wie haben Sie sich mit dieser Rolle arrangiert?

Als ich in das Kommando eingestiegen bin, wusste Honecker meinen Namen nicht, wir waren unnütze Gegenstände. Das hat sich durch die Attentate auf Indira Gandhi und Olof Palme ganz stark geändert, und unsere Wertigkeit stieg. Noch heute sage ich aber bei der Ausbildung im Personenschutz: Wir sind ganz normale Dienstleister und schnell auszuwechseln. Einige Personenschützer denken, weil sie im Dunstkreis der Politik sind, dass sie dazugehören.

Wann haben Sie mehr Befriedigung bei der Arbeit empfunden, in der DDR oder im wiedervereinigten Deutschland?

Meine Befriedigung im Jahr 2014 ist, wenn die Buchhalterin mir sagt, wir schreiben schwarze Zahlen. Meine Befriedigung zu DDR-Zeiten bestand darin, wenn ich meinen Dienst machte und nichts passierte, der Alte lebte, sich freute und ich anerkannt wurde.

Und, schreiben Sie schwarze Zahlen?

Ja, schon länger. Aber wir sind durch alle Turbulenzen gegangen, die der Markt hergibt.

Sie haben sich mittlerweile ein zweites Standbein aufgebaut und betreiben auch eine Berufsfachschule für Altenpflege. Wie hat sich das ergeben?

Zwei ältere Herrschaften, ein Mann und eine Frau, standen eines Tages bei mir im Büro und sagten, sie wüssten, was ich früher gemacht habe. Sie waren Dozenten in der Altenpflege und durften im Unterschied zu mir als anerkanntem Bildungsträger keine Ausbildung anbieten, und sie fragten, ob wir etwas zusammen machen wollen. Früher dachte ich, die Sicherheit wäre das Zugpferd, aber jetzt ist es die Altenpflege. Seit etwa fünf Jahren bilden wir in dem Bereich aus. Wir sind eine staatlich anerkannte Ersatzschule und können die examinierte Krankenpflege als dreijährige Ausbildung selbst machen. Und wir haben jetzt auch mehrere Büros in Vietnam.

Geht die Zusammenarbeit mit Vietnam auf Kontakte zu DDR-Zeiten zurück?

Ja, vor sechs, sieben Jahren kamen deutschsprachige Vietnamesen in mein Büro, die in der DDR gearbeitet hatten und wussten, was ich früher gemacht habe.

„Bis Ende 1989 war ich anerkannt, immer, wenn es heikle und große Aufgaben gab, hieß es: Brückner ran“

Wie weit ist die deutsch-vietnamesische Zusammenarbeit gediehen?

Der Herr Brückner hat ein festes Büro in Da Nang, Saigon und Hanoi, Nord,- Süd- und Mittelvietnam. Meine Kooperationspartner sind wie ich Berufsfachschulen, und ich habe für die eine Rundreise durch Deutschland organisiert, damit sie auch Verständnis für den deutschen Markt bekommen.

Sie wollen also ausgebildete Vietnamesen in der Altenpflege in Deutschland zum Einsatz bringen?

Ja, es geht neben dem vietnamesischen Binnenmarkt auch um die anteilige Bestückung des deutschen Marktes mit deutschsprachigen Vietnamesen, die nach deutschen Standards qualifiziert sind. Wir bilden jetzt schon in Vietnam aus und bereiten die Ausbildung für den deutschen Markt vor.

Wollen Sie sich später im Alter, wenn es nötig ist, in Vietnam pflegen lassen?

Zum Grauen meiner Gattin habe ich gesagt, von Oktober bis März möchte ich mir dort eine Basis schaffen, es ist nicht nass und kalt, sondern schön warm. Ich kann mir gut vorstellen, eines Tages in Da Nang zu leben. Der Bürgermeister hat in Deutschland studiert und kann Deutsch, der Parteisekretär hat an der Parteischule in der DDR studiert.

Ist es für Sie eine Genugtuung, wenn Sie von früheren DDR-Kontakten profitieren können?

Eine Genugtuung ist es nicht vordergründig. Ich nehme meinen Marktvorteil war, den mir meine ehemalige Tätigkeit gibt. Einige Ansprechpartner in politischer und wirtschaftlicher Entscheidungsfunktion haben in der DDR, Stichwort internationale Solidarität, kostenfrei studiert. Dieses und andere Hilfeleistungen haben viele Vietnamesen verinnerlicht. Ich werde in Vietnam oft mit der Frage begrüßt, ob ich aus Deutschland oder der DDR komme.

Sind Sie in den vergangenen 25 Jahren an ehemalige Einsatzorte von Ihnen hierzulande zurückgekehrt?

Ich bin mit meiner Frau mehrmals nach Dölln gefahren [in Groß Dölln in der Uckermark befand sich das Gästehaus des Staatsrates, das auch Honecker nutzte und das jetzt ein Seminarhotel ist; Anm. d. Red.], wir tranken Kaffee, und am Nachbartisch saßen Gäste in unserem Alter, bei denen immer jemand dabei war, der meinte, alles zu wissen und auch Honecker gekannt zu haben.

Klinken Sie sich in solche Gespräche ein und geben sich zu erkennen?

Meine Frau fragt mich manchmal, ob ich nicht aufstehen will, um etwas zu sagen. Sie sagt aber auch immer, ich soll auf Wirtschaftlichkeit achten. Also frage ich zurüc:k: Wird’s bezahlt? Nee. Also sage ich nichts.

Gibt es Momente, in denen Sie an die DDR denken und nostalgisch werden?

Ich habe einen guten Freund, der im Landkreis Ribnitz-Damgarten das ehemalige Areal der russischen Jagdfliegergeschwader erworben und drei riesengroße Hangars voll mit Osttechnik hat: vom Ikarusbus über das kleine Moped und den Moskwitsch bis hin zu Transporteinheiten für Raketen und Panzer. Wenn wir mit einem alten Russenjeep Baujahr 1950 durch schweres Gelände fahren, und das Ding rammelt sich durch den Dreck durch, und wir sitzen danach noch bei Bratwurst und Bier zusammen, da gibt es schon eine gewisse Empfindung.