: In den Kathedralen der Technikbegeisterung
MODERNE Atomkraft in Deutschland, Industrie in Südkorea: die Dokumentarfilme „A Dream of Iron“ und „Unter Kontrolle“ (Forum)
VON SUSANNE MESSMER
Es gab einmal eine Zeit, da dachten die Menschen, Gesellschaft entwickle sich planvoll. Technik galt als Verheißung, als Utopie, als Ausdruck von Fortschritt, als Zeichen eines elementaren Gestaltungswillens, als Vehikel der Selbsterlösung. Keine Atempause, Geschichte wird gemacht.
Diese Technikbegeisterung zu erinnern, sezieren und zu verstehen: Das ist es,was sich im diesjährigen Programm der Sektion Forum gleich zwei Dokumentarfilme auf sehr unterschiedliche Art vorgenommen haben. Während der eine, „Unter Kontrolle“ von Volker Sattel, Deutschland und die Atomkraft verhandelt und damit aus der seelenruhigen Vogelperspektive auf eine Vergangenheit blickt, die zumindest in weiteren Teilen der Gesellschaft als überwunden gilt, stürzt sich Kelvin Kyung Kun Park mit „A Dream of Iron“ aufgeregt hinein in die Verschiebungen, die die Industrialisierung Südkoreas hervorgerufen hat und die, wie er meint, noch immer das kollektive Denken seiner Landsleute bestimmt.
Dabei ist es vor allem die Sorgfalt des einen und der verwirrende Punk des anderen Films – das wohl durchdachte, ja maßgeschneiderte „Wie“ der Annäherung an ein komplexes Sujet, das bei beiden Filmen fasziniert. Da sind auf der einen Seite, in „Unter Kontrolle“, lange Kamerafahrten über lange Brennstäbe, erhabene Bilder von Vergnügungsparks in stillgelegten Kernkraftwerken, von den tiefen Kellern der Endlager für radioaktiven Müll, geduldige Betrachtungen formschöner Schaltzentralen, die so gesehen mal wie Kathedralen erscheinen, mal wie Stanley Kubricks Raumschiff Discovery.
Leute, deren Beruf längst nicht mehr den Ruf genießt, den er mal hatte, sprechen von der Größe und Unfehlbarkeit ihrer Technik und können es doch nicht vermeiden, dabei verzagt zu wirken. Volker Sattel hat sie nie in die Kamera sprechen lassen, sondern an der Kamera vorbei, so dass man nicht nur darauf hört, was sie sagen, sondern auch darauf schaut, wie sie es sagen. „Unter Kontrolle“, dieser genaue Blick ins Innere eines Systems, wirkt wie ein Plädoyer fürs Innehalten. Er rückt die Absurdität der Anstrengungen ins Zentrum, die für die Beherrschung dieser Technologie nötig war und ist – und wie tragisch ihr Scheitern für die, die bis heute voller Stolz und mit rührend kindlichem Trotz an ihr hängen.
Wo die einen zu viel Stolz an den Tag legen, da fehlt es den anderen vielleicht daran. Kelvin Kyung Kun Parks Film „A Dream of Iron“ handelt von einem Viertel in Seoul, das vom Abriss bedroht ist. Cheonggyecheon ist geprägt von engen Gassen und Wellblechverschlägen, in denen sich kleine Betriebe der metallverarbeitenden Industrie angesiedelt hatten. Der Stadtteil entstand, als nach dem Zweiten Weltkrieg Militärbestände auf den Markt geschwemmt wurden, die keiner mehr brauchte – eines der vielen Puzzleteilchen, die den rasanten wirtschaftlichen Aufschwung Südkoreas und die hektische Verwandlung einer Agrargesellschaft in eine Industrienation bewirkten.
Es ist, als würde Kelvin Kyung Kun Park deshalb so wild seinen Helden durch die dunklen Gassen nachhasten, weil der Regisseur auf der Suche nach dem Stolz und dem Pioniergeist dieser Zeit verfallen ist. Je vergeblicher seine Suche, desto wilder wedelt die Handkamera. Es werden Archivaufnahmen aus den Sechzigerjahren eingeblendet, die den Aufbau rühmen. Es folgt die Erzählung des Regisseurs vom Großvater, der das Trauma der schnellen Veränderung an den Enkel vererbt hat. Und dann ein harter Cut, die Gießer und Fräser in Cheonggyecheon ziehen sich nach Schicht feine Anzüge an. Sie schämen sich. Und suchen nach einer vorzeigbareren Bleibe für ihren Betrieb. „Die Koreaner haben die Moderne noch nicht überwunden“, meint dazu der Regisseur. Anders als in Deutschland wird der blinde Fortschrittsglaube noch nicht in Frage gestellt. Es geht noch immer weiter in diesem Land.
■ „A Dream of Iron“: 12. 2., 17.30 Uhr, Arsenal; 13. 2., 22 Uhr, CinemaxX 4; 15. 2., 15.30 Uhr, Cubix 7 ■ „Unter Kontrolle“ 11. 2., 16.30 Uhr, Delphi; 17. 2., 19.15 Uhr, CineStar 8; 19. 2., 17.30 Uhr, Arsenal