piwik no script img

Archiv-Artikel

Fatwa für Fritzchen

Weil es eine Witzesammlung veröffentlichte, muss das marokkanische Magazin „Nichane“ vorübergehend schließen

Die Marokkaner haben einen gesunden Humor. Anstatt über die Umstände im Reich von König Mohammed VI. zu weinen, machen sie ihrem Unmut gerne mit bissigen Witzen Luft. Jeder kennt sie. Doch dem Volk aufs Maul zu schauen und die Witze dann auch noch zu drucken, das ist ein Verbrechen. Dies musste jetzt der Herausgeber der arabischsprachigen Zeitschrift Nichane aus Casablanca Driss Ksikes erfahren. Die Ausgabe vom 9. Dezember unter dem Titel „Witze: Wie die Marokkaner über die Religion, Sex und Politik lachen“ brachte ihm eine Haftstrafe von drei Jahren auf Bewährung, eine Geldbuße von 7.200 Euro sowie die Suspendierung der Nichane-Lizenz für zwei Monate ein.

Die Richter, die ihr Urteil am Montag dieser Woche verkündeten, sahen in der Veröffentlichung „einen Angriff auf heilige Werte“ . Die „Publikation und der Vertrieb des Druckerzeugnisses verstößt gegen Moral und Sitten“. In der Nichane-Redaktion löst das Urteil Unverständnis aus: „Wir haben die am wenigsten harten Witze ausgesucht“, heißt es. Am 20. Dezember hatte Regierungschef Driss Jettou bereits ein Verbot von Nichane ausgesprochen. Zuvor hatte eine islamische Website der Redaktion „schwere Gotteslästerung“ vorgeworfen und eine systemtreue Journalistengewerkschaft hatte Flugblätter gegen die Zeitschrift verteilt. Eine religiöse Instanz in Kuwait sprach gar eine Fatwa gegen Nichane aus.

„Es ist Zeit, das Pressegesetz zu ändern“, verlangt der Herausgeber der für seine kritische Haltung bekannten francophonen Zeitschrift Tel Quel, die im selben Verlag erscheint. Das Gesetzeswerk, das in Marokko die journalistische Arbeit regelt, stammt von 2002. Als es verabschiedet wurde, kam es zu Protesten von unabhängigen Journalistengewerkschaften, Redaktionen und Reporter ohne Grenzen. Die Regierung erhält darin ausdrücklich das Recht, einheimische Publikationen einzustellen und ausländischen Blättern den Vertrieb zu untersagen, „wenn die betreffenden Publikationen den Islam, die Monarchie oder die Integrität des Staatsgebietes und die öffentliche Ordnung angreifen.“ Reiner Wandler, Madrid