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Archiv-Artikel

Ich bin dann mal weg

Mit 27 Jahren steigen andere Leute in den Beruf ein. FC-Bayern-Profi Sebastian Deisler dagegen geht in den Ruhestand – nach einer Karriere, die wegen andauernder Verletzungen nie richtig in Fahrt kam

von DANIEL MÜLLER

Als Sebastian Deisler im Trainingslager der Bayern in Dubai Tag für Tag geknickt und nur selten lächelnd durch die weiten Hallen des Fünf-Sterne-Hotels Jumeirah Emirates Tower schlich, hätte man es schon ahnen können. Oft sah man ihn allein, mit gesenktem Haupt und krummem Rücken, im gläsernen Aufzug fahren. Bei seinem einzigen Interviewtermin wirkte der von schlimmen Verletzungen geplagte Deisler seltsam fahrig, geistesabwesend.

Wie jetzt bekannt wurde, hatte Deisler schon da mehrmals gebeten, nach Hause fahren zu dürfen. Und doch: Letztlich kam der am Dienstag verkündete Rücktritt des wohl größten deutschen Fußballtalents der Gegenwart sehr überraschend. Mit den Worten „Ich habe nicht mehr das richtige Vertrauen in mein Knie. Es war zuletzt eine Qual für mich“, verabschiedete sich Sebastian Deisler von der großen Fußballbühne. Mit gerade einmal 27 Jahren und nach nur 135 Bundesligaeinsätzen und 36 Spielen für die deutsche Nationalmannschaft.

Mit dem Karriereende von Deisler endet auch ein unermüdlicher Kampf von Bayern-Manager Uli Hoeneß. Der oft als kühl kalkulierender Eisblock wahrgenommene Wurstfabrikant stand in einer im Fußballgeschäft einzigartigen Weise für seinen dünnhäutigen Schützling ein.

In fünf Bundesliga-Spielzeiten lief Deisler nur 62-mal für die Bayern auf. Nach zwei Kreuzbandrissen 1998 und 1999 wurde im ersten Jahr in München ein Knorpelschaden im rechten Knie diagnostiziert. Sein Verletzungspech stürzte den Jungprofi in Depressionen. Zweimal, im November 2003 und im Oktober 2004, wurde er deswegen stationär behandelt. Trotzdem verlängerte Uli Hoeneß den Vertrag des Mittelfeldspielers bis 2009, weil er an Deislers Talent glaubte – ein exemplarisches Zeugnis der Loyalität des FC Bayern gegenüber seinen Angestellten.

So zeigte sich der Manager auf der kurzfristig anberaumten Pressekonferenz auch sichtlich entsetzt: „Ich bedauere seinen Entschluss unheimlich und bin fassungslos. Ich hatte immer gehofft, dass dies nur ein Albtraum ist. Auch die Mannschaft ist sehr geschockt.“

Das Schicksal Deislers ist für Uli Hoeneß History repeating. Auch Hoeneß hatte seine aktive Karriere wegen schwerer Knieverletzungen beenden müssen – umso größer ist die Identifikation mit Deisler.

Aber Uli Hoeneß wäre nicht Uli Hoeneß, wenn er sich nicht ein Hintertürchen offen gelassen hätte. Deislers Vertrag wird nicht mit sofortiger Wirkung gekündigt, sondern soll bis 2009 ruhen. Über die finanziellen Modalitäten ist nichts bekannt – sicher aber ist, dass Deisler trotz aller Beteuerungen über sein definitives Karriereende die Möglichkeit hat, wieder zurückzukommen.

Es waren sicherlich nicht nur die ständigen körperlichen Malaisen, die seinen Entschluss reifen ließen. Viel Interpretationsspielraum bietet ein Satz, den er fast nebenbei fallen ließ: „Es lag auch anderen Dingen, das liegt auf der Hand.“ So talentiert Sebastian Deisler fußballerisch auch sein mag, mental war er nie ein Fußballprofi, dem Geschäft abseits des Rasens war er nie gewachsen. Das fing schon in Berlin an: Binnen einer Saison wechselte er gleich viermal die Handynummer, weil er die ständigen Interviewanfragen und Zuneigungsbekundungen der Fans nicht mehr ertrug.

Dass der Medienrummel um ihn in München um ein Vielfaches größer sein würde – darauf hätte er gefasst sein müssen. Auf der Suche nach einem neuen Heilsbringer, einer Identifikationsfigur hatten die Fans und Experten ihn, den gebürtigen Lörracher, schnell ausgemacht. Er sollte die Bayern zu Seriensiegen in der Champions League führen, Deutschland zum Weltmeister machen – und irgendwann die Welt erobern. Auf seinen Schultern ruhte die Hoffnung einer Nation. Und der Druck der selbigen. Das war zu viel für einen jungen Mann, der lieber nachdenkt als spricht.

Der Rücktritt ist also auch ein konsequenter und logisch nachvollziehbarer Schritt. Nur was macht ein 27-jähriger Arbeitsloser, der sein Leben lang nur Fußball gespielt hat? In einem Alter, in dem andere Leute in den Beruf einsteigen, hat Deisler ihn aufgegeben. Eine Hypothek, die der zartbesaitete Deisler nach seinem Rücktritt zu tragen hat. Zurückkommen zu den Bayern, wie es sich Hoeneß und Beckenbauer wünschen, wird Sebastian Deisler höchstwahrscheinlich nicht. Nicht, weil er nicht will, sondern weil er nicht kann.