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Archiv-Artikel

Rote Perücke, rotes Blut

BERLIN-FILM Kutlug Atamans „Lola und Bilidikid“ ist ein queeres Drama mit tragischem Ausgang. Es zeigt ein Berlin der späten 90er Jahre, das in dieser Form längst verschwunden ist

Türkischer James Dean und Dame mit rotem Haar – mit Penis geht das nicht

VON CAROLIN WEIDNER

Eine rote Perücke ist das wiederkehrende Symbol in Kutlug Atamans queerem Berlin-Drama „Lola und Bilidikid“, das 1999 auf der Berlinale debütierte und diesen Juli an vier Abenden (10.–14.) in der Brotfabrik zu sehen sein wird. Den Film nach fünfzehn Jahren wieder einem Publikum zugänglich zu machen, ist Jan Gympel und seiner Initiative Berlin-Film-Katalog zu verdanken, die in schöner Regelmäßigkeit besonderes Kino mit Sujet Hauptstadt auf die Leinwand bringt.

Und tatsächlich ist Atamans „Lola und Bilidikid“ auch so sehenswert, weil dieses Berlin mittlerweile verschwunden ist. Keine Telefonzellen mehr, natürlich, und auch kein grau in grau rund ums SO36. Selbstverständlich sind derlei Beobachtungen nicht das, worum es Ataman in seinem dritten Spielfilm ging, ja, gar nicht gehen konnte, als er sich 1997 an die Dreharbeiten machte. Gleichzeitig hat man es bei Ataman aber auch mit keinem Absolventen hiesiger Filmhochschulen zu tun, der den Austragungsort seiner Geschichte eben dahin verlegt, wo man ohnehin schon lebt. Ataman hat Film in Kalifornien und Frankreich studiert. Und Berlin, das war eine Entscheidung.

In einem parallel zu „Lola und Bilidikid“ entstandenen Interview sagt er: „Berlin befindet sich in einem Zustand irgendwo zwischen Reinkarnation und Renovation. Ein Zustand, in dem sich auch die Protagonisten des Films befinden.“ Da wäre zum Beispiel Lola (Gandi Mukli), ein junger Transvestit, der in einem Nachtclub orientalische Folklore vorträgt. Schrill und kantig ist das, aber auch sehr schön. Vom Tresen aus lauernd: Bili (Erdal Yıldız), Lolas Freund. Mit Lederjacke, eingesteifter Pomade-Frisur und nicht zu missverstehendem Männlichkeitsgebaren hat er seine Freundin fest im Blick. Dabei wird im Laufe des Films deutlich, dass die Beziehung zwischen den beiden einmal als „klassisch“ schwul begann, bevor Bili zu der Erkenntnis gelangte, eine Frau an seiner Seite stünde ihm doch besser. Und einfacher wäre es wohl allemal. Fortan verfolgt er also den Traum, Lola könnte ihre nächtliche Bühnenpräsenz gewissermaßen vollständig ins Tagesgeschäft verlegen – quasi rund um die Uhr: die hübsche Dame mit dem roten Haar und der türkische James Dean. Mit einem Penis geht das natürlich nicht. Der muss, sagt Bili, dann natürlich ab. Eine Vorstellung, von der sich Lola alles andere als begeistert zeigt. „Warum können wir nicht einfach glücklich sein, so wie wir sind? Wir lieben uns doch“, sagt sie.

Von Paarproblemen meilenweit entfernt ist Murat (Baki Davrak): ein sensibler Teenager, der von seinem älteren Bruder Osman (Hasan Ali Mete) unter allen Umständen zum Mann gemacht werden soll (ein jämmerliches Unterfangen bei einer Prostituierten auf der Oranienburger Straße zeugt davon) während er doch eigentlich zärtlich von einem Mitschüler schwärmt. Alles nicht so einfach eben. Als eines Tages dann auch noch Lola unerwartet an der Haustüre klingelt, fliegt ein ganzes Gespinst aus Lügen und Repression auseinander. Und immer wieder: diese rote Perücke. „Lola und Bilidikid“ bewegt sich reichlich sonderbar durch dieses Berlin der 90er Jahre. Den Gaslaternen des Tiergartens wird mehrmals eine ganze Bildfläche gewidmet. Plötzlich taucht eine Wannsee-Witwe (Inge Keller) auf und gerät sehr unfreiwillig in die Stricherszene rund um den Hermannplatz (oder besser: einer Imbissbude auf dem Hermannplatz). Der Showdown des Films findet in einer ausgehöhlten Industrieruine statt, von der interessant zu erfahren wäre, was aus ihre geworden ist.

Kutlug Ataman sagt: „Mein Film bewegt sich durch alle möglichen Milieus.“ Dieser Aussage lässt sich nicht widersprechen. Glücklicherweise funktioniert Atamans Mosaik dabei weniger über Erklär-Dialoge, wie sie im deutschen Film gerne zu finden sind. Einigen schwierigeren inhaltlichen Konflikten wird so auch schon einmal mit ein paar Messerstichen aus dem Genre-Koffer versucht beizukommen. Das hat hin und wieder Trash-Charakter. Ist aber auch erfrischend. Und manchmal blutrot.

■ Lola und Bilidikid: Brotfabrik, 10.–14. Juli