: Als das Ich-Sagen noch subversiv war
Seltsame Allianzen bildeten sich in dem Streit um die Berliner Ehrenbürgerschaft für Wolf Biermann
„Neee, nicht der schon wieder!“ Nicht einmal Herbert Grönemeyer löst in der deutschen Kulturlandschaft so viele Aversionen aus wie Wolf Biermann. Noch vor zehn Jahren wogte der Kampf zwischen enthusiastischen Fans und naserümpfenden Gegnern, konnte man noch mit einem Biermann-Bekenntnis jede harmonische Biertrinkerrunde spalten. Immerhin brachte damals Zweitausendeins eine Edition mit acht Biermann-CDs unter das Volk – heute kaum mehr denkbar. Das gewöhnlich recht lautstarke Augenrollen, das zum Biermann-Auftritt gehört, erzeugt er nunmehr flächendeckend in der Öffentlichkeit, sobald sein Name fällt. So out wie Biermann ist nur der andere deutsche Schnauzbart – liegt es daran? – Günter Grass.
Nicht Biermanns angebliche Umstrittenheit also, sondern vielmehr seine ästhetische Randständigkeit wirkte als Resonanzverstärker der zweiten Biermann-Affäre, die in den vergangenen Wochen zu beobachten war. Eine merkwürdige Allianz im Streit um seine Berliner Ehrenbürgerschaft hatte sich da gebildet: Jüngere Biermannverächter, die von ihren Eltern in Ost und West mit dem Geschrammel und Geknarze dieses komischen Kauzes jahrelang akustisch terrorisiert worden waren, marschierten Seit an Seit mit alten SED-Genossen, die Biermann seit Mitte der Sechzigerjahre nicht hatten mundtot machen können und den Staatsfeind Nummer eins 1976 aus der DDR rauswarfen. Dass ihr Hassobjekt zum Sieger der Geschichte wurde, können sie ihm bis heute nicht verzeihen; Biermanns problematische Positionen zu Bushs Irakkrieg boten nur einen Vorwand. Der Berliner Landeschef der Linkspartei, der smarte 31-jährige Reformer Klaus Lederer, schritt zum Begräbnis von Mielke-Stellvertreter Markus Wolf und vermochte es hinterher tatsächlich, diesen intellektuellen Albert-Speer-Typus der DDR mit dem Rebellen Biermann zu parallelisieren („Genauso wie bei Biermann muss es auch bei Markus Wolf möglich sein, einen Menschen in seiner ganzen Widersprüchlichkeit zu würdigen“). Täter, Opfer, alles egal: Hier wabert eine Geisteshaltung auf recht eklige Weise fort. Biermann kann sich in seiner Kritik am rot-roten Senat aufs Allerschönste bestätigt sehen.
„So oder so, die Erde wird rot!“, sang Biermann vor mehr als 30 Jahren – die Linkspartei hätte sich durchaus den frühen Biermann wie so vieles andere auch verspätet aneignen können. Und hatte er nicht mit dem Lied „Drei Kugeln auf Rudi Dutschke“ eine Hymne für die Volksabstimmung am Sonntag über die Kreuzberger Rudi-Dutschke-Straße geträllert? Dass sich ein Selbstinszenierer wie Klaus Wowereit ungern von einem ebenso ich-seligen Sänger wie Biermann vorführen lässt, erstaunt kaum, zumal wenn Berlins Regierender clevere CDU-Taktik hinter dem Ehrenbürgervorschlag vermutete. Doch Wowereit konnte nur so störrisch sein, weil er den Zeitgeist in seinem Rücken spürte.
Tatsächlich ist einer ohnehin von allerlei Narzissmen geprägten Gegenwart der Sinn dafür abhandengekommen, dass in der hemmungslosen Schreihälsigkeit des Biermann’schen Gesamtkunstwerks eine subversive Tradition steckt. Der kleine Biermann war in der DDR das Kind, das hinausbrüllte, was alle wussten und nicht zu sagen wagten: „Der Kaiser ist nackt!“ – was ein politisches System tief erschüttern konnte. Die performative Peinlichkeit war und ist dabei sein Programm – gerade das Unzeitgemäße solcher Gesten kann heute fallweise immer noch als Provokation wirken. „Wie fern sind uns manche, die leben“, so Biermann in seinem Lied vom „Hugenottenfriedhof“. Es bleibt dennoch merkwürdig, dass Biermann den Coolnessanforderungen des Zeitgeists immer noch nicht zu entsprechen scheint: Die schnarrende Stimme des Spanienkämpfer-Barden Ernst Busch oder diverse Arbeiterlieder singende Chöre haben ja schon Partytauglichkeit erreicht.
Es wäre also an der Zeit, mal wieder Biermann-Platten aufzulegen und diesen fremden Tönen aus einem anderen Jahrhundert zu lauschen, in dem laute Ich-Schreie noch ziemlich teuer sein konnten. Wie exotisch sich solche Klänge heute auch anhören mögen: Durch dieses Gekrächze ist Wolf Biermann schon längst ein Ehrenbürger Berlins geworden. ALEXANDER CAMMANN