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Archiv-Artikel

Jeder seines Glückes Smith

In dem Film „Streben nach Glück“ spielt Will Smith einen Obdachlosen, der es bis zum Millionär schafft. Der richtige Film für raue Hartz-IV-Zeiten? Dazu sechs sehr unterschiedliche Perspektiven

Überanpassung

Ein Unglück kommt selten allein. Kaum hat der Vermieter Chris (Will Smith) mit Rauswurf gedroht, statten ihm zwei Polizisten wegen nicht bezahlter Strafzettel einen Besuch ab. Chris muss über Nacht im Gefängnis bleiben, da er seine Schulden nicht begleichen kann. Am nächsten Morgen hat er das entscheidende Vorstellungsgespräch; er absolviert es in seiner Malerkluft, weiße Farbreste im schwarzen Haar. Merkwürdig daran ist, dass Gabriele Muccinos Film das Pech umso höher schichtet, je mehr er betont, er strebe nach dem Glück. Das bisschen Glück am Ende – Chris’ verhaltene Siegesgesten in der Menschenmenge – erscheint jämmerlich, wie der lausige Triumph eines Neurotikers, dessen Programm aus Überanpassung und Selbstverleugnung ihn nun endlich zu einem man in the crowd gemacht hat. An der Übermacht des Unglücks ändert das nichts.

Dass dieses Unglück strukturell begründet sein, mit Rassismus, sozialer Ungerechtigkeit oder Chancenungleichheit zu tun haben könnte, muss „Pursuit of Happyness“ seinem ideologischen Programm gemäß verwerfen, genauso wie jede Glücksvorstellung, die aus etwas anderem als wirtschaftlichem Erfolg sich speiste. Von Solidarität, Freundschaft oder Netzwerken kann Chris Gardner nicht einmal träumen. Das verleiht dem Film einen unbarmherzigen Zug. Wirkte der nicht so unfreiwillig, könnte man meinen, „Pursuit of Happyness“ dekonstruiere sich selbst. So aber reicht es nur zu einem Knirschen, dass sich im ideologischen Gerüst des Filmes – you can make it if you really want – nicht überhören lässt.

CRISTINA NORD

Heilsbotschaft

Die Geschichte des schwarzen Mannes, der es vom gescheiterten Vertreter zum erfolgreichen Broker bringt, lässt sich auf drei Arten erzählen: Ein neurotischer Vater verfolgt zwanghaft die Vorstellung, sein Schicksal habe ihn zum Börsianer bestimmt. Diesem Wahn opfert er seine Ehe, das Wohl seines Kindes und seine Gesundheit, um am Ende eine kurze Befriedigung in der Erfüllung seines Triebs zu finden.

Die zweite Version ist ein modernes Märchen, heilsgeschichtlich grundiert. Chris Gardner ist gewissermaßen der jüngste der drei Söhne in einem Märchen, sympathisch, aber mit dem Makel seiner schwarzen Haut behaftet. Da ihm kein Anteil am Reich des Königs zusteht, zieht er aus, auf eigene Faust das Glück zu suchen. Mit List und Schlauheit tötet er die Drachen, die das Gold hüten, und weil er sein Ziel nie aus den Augen verliert, erreicht er es auch. Die Heilserwartung rechtfertigt das Leiden, der Zweck heiligt die Mittel.

Die Heilsbotschaft steckt allerdings in einem sozialdarwinistischen Gewand, und das ist die dritte Version: Nicht Chris’ Glaube führt zum Ziel, sondern seine Umsetzung von Darwins Grundsatz: „The fittest survive.“ Was mit denjenigen passiert, denen die Anpassung an die Geschäftswelt nicht gelingt, zeigen kurz eingeblendete Bilder von Obdachlosen im Schmutz der Straße, neben denen ein Cabrio mit lachenden Anzugträgern vorbeirauscht. Damit wird nicht etwa die Reinheit der Börsenwelt in Frage gestellt oder das gnadenlose Geschäftsgebahren konterkariert. Sie sollen nur die Fallhöhe anzeigen, die Chris Gardner bei einem Scheitern bevorsteht. IRENE GRÜTER

Saubere Hemden

Der Film schließt seinen erzählerischen Bogen mit einer Einstellung, die so faszinierend wie bizarr ist. Schier übermenschlich waren die Anstrengungen, die Chris Gardner auf sich genommen hat, um ein unbezahltes Praktikum bei einer Maklerfirma durchzustehen – und nun, gerade hat er erfahren, dass er genommen worden ist, stolpert er auf die Straße, und reiht sich weinend vor Glück in die Menschenmenge der Angestellten ein, die über den Bürgersteig eilen. Er darf mitmachen.

Bizarr ist dies vor allem aus einer kontinentaleuropäischen Perspektive – Amerikaner dürften ein ähnlich deutliches Gefühl für die kulturellen Unterschiede zwischen Alter und Neuer Welt bekommen, wenn sich jemand die Mühe machen sollte, einmal das Leben von Henrico F. zu verfilmen. Welcher Umstand legitimiert Henrico, von einem Politiker einen Job zu fordern? Warum echauffiert sich die Öffentlichkeit über Kurt Becks Worte, Henrico möge sich rasieren? Gardner vollzieht ganz andere Anpassungsleistungen. Trotz Obdachlosenwohnheim erscheint er selbstverständlich stets im Anzug und sauberen Hemd bei der Arbeit.

Ja, es ist ein gnadenloser Film über ein gnadenloses System. Einerseits. Andererseits ist Europa eben nur anders gnadenlos. Denn einem Amerikaner ist es fast unmittelbar einsichtig, dass jemand, der eine lange Odyssee durch die Wüste und über das Meer auf sich genommen hat, um dann als Tellerwäscher zu arbeiten, vor allem versucht nach seinem Glück zu streben. Für Europäer ist dieser Mensch ein Wirtschaftsflüchtling, den man fürchtet, dem man hilft oder den man abschiebt. Aber niemand, der genauso seinen Weg zu machen versucht wie man selbst.

TOBIAS RAPP

Dienst am Vater

Der Vater (Will Smith) blickt seinem Sohn Christopher (Laden Smith) fest in die Augen und sagt: „Vertrau mir!“ Unverzüglich kommt die Antwort: „Ich vertrau dir!“ Damit ist der Pakt fürs Leben geschlossen. Anders als seine Mutter wird der fünfjährige Christopher nicht das Handtuch werfen, wenn es schwierig wird. Er nämlich hat begriffen, dass die Zeiten zu hart sind, als dass es um ihn gehen könnte: Eine Beziehung zur Mutter oder zu Freunden ist nicht drin. Stattdessen gilt es, Dienst am Vater zu tun. Das bedeutet bedingungslose Liebe und diese beweist sich in bedingungsloser Gefolgschaft. Nachdem die Mutter weggelaufen ist, nimmt sich der Sohn am Vater ein Beispiel und gibt sich große Mühe. Kein Hund könnte seinen Job besser machen. Der Lohn: Er schläft jetzt neben Vater im Ehebett. Beide schlafen gut. Der Sohn wird geliebt.

Zum ideologischen Gesamtpaket des Films gehört, dass überforderte Frauen, die ihren überforderten Mann nicht affirmieren, unzumutbar sind. Über Monate geleistete Doppelschichten, um die Familie durchzubringen, entschulden nichts. Entsprechend ist die Geschichte des männlichen Aufstiegs auch die von der Ausstreichung der ungehorsamen und genervten Frau.

Die übliche Entlohnung des Helden durch den schlussendlichen Kuss der geliebten Frau bleibt daher aus. Stattdessen sehen wir Vater und Sohn Hand in Hand, oben auf dem Hügel über der Stadt, die Treppe nach unten liegt vor ihnen und kann ihnen keine Angst mehr machen.

INES KAPPERT

Im U-Bahn-Klo

Mich hat der Film beunruhigt, stellenweise auch berührt. Dass das möglich war, hat etwas mit seiner Dramaturgie zu tun. Ideologie, letztlich doch Verbrämung – alles zugegeben. Aber zunächst mal ist die große Erzählung vom Streben nach Glück eine Möglichkeit, so eine Geschichte zu organisieren. Und was sie in diesem Film ermöglicht, sind gnadenlose Einblicke in ein schreckliches Leben. Die Paarbeziehung, das Verhältnis zu Kollegen, auch das Verhältnis zu sich selbst: Alles ist hier Konkurrenzkampf. Es geht die ganze Zeit über ums nackte Überleben. Die Szene, in der der Vater mit dem Sohn auf dem U-Bahn-Klo übernachten muss, ist so bedrückend, dass man der ganzen Reagan-Zeit an die Gurgel springen möchte. Und als Deutscher versteht man überhaupt nicht, warum der Vater keinen Hass auf die Erfolgreichen entwickelt. Das Happy End wird dann am äußersten Schluss an diese Schilderung eines Dschungels angepappt.

Was die Dramaturgie, die auf die Erzählung vom Streben nach Glück aufsitzt, nun leistet: dass man diese Lebensdesaster als Episode erzählen kann. Man findet sich nicht damit ab, sie ein für allemal als sein Schicksal zu begreifen. Das macht der Film durch ein Leitmotiv klar: Die Erzählstimme strukturiert die Handlung durch ein wiederkehrendes „Dieser Abschnitt meines Lebens heißt …“ Im nächsten Abschnitt, so schwingt mit, könnte alles wieder anders aussehen. Auch dafür, dass es dazu, sich aus so einer Katastrophe herauszuarbeiten, manchmal ein Märchen braucht, gibt der Film Signale. In der Realität möchte man auf Märchen natürlich nicht angewiesen sein. In einem Film ermöglicht so etwas, sehr böse Bilder zu zeigen. DIRK KNIPPHALS

Black Role Model

Das Lied, zu dem der niedergeschlagene Will Smith die Wohnung streicht, nachdem seine Frau ihn gerade verlassen hat, war in den 70er-Jahren ein Riesenhit. Mit „This Masquerade“ avancierte der Jazzgitarrist George Benson zum all-american Popstar: Eine Blue-Note-Melodie, dazu die Textzeilen „Are we really happy here / With this lonely game we play“, das saß in Zeiten von Rezession, Watergate und Vietnam-Hangover. Auch Muccinos Film setzt sich über Musik in Szene: Steve Wonder sorgt für Nervosität beim Vorstellungsgespräch, und auf Gospel ist Verlass, wenn Will Smith mit seinem Sohn im Obdachlosenasyl strandet. Soulful ist die Tonspur des schwarzen Lebens.

Als Ronald Reagans zweite Präsidentschaft 1984 gefeiert wurde, war George Benson mit einem Glückwunschständchen zur Stelle – natürlich hat er „This Masquerade“ gespielt, ein Blues für den Mann, der mit seiner Politik der völligen Deregulierung den Kapitalismus, wie wir ihn heute kennen, angeschoben hat. Und es ist wahr: Diese totale Ökonomisierung hat vielen Afroamerikanern einigen Wohlstand gebracht, hat überhaupt eine schwarze Mittel- bis Oberschicht befördert. Doch er hat auch zu einer Entsolidarisierung innerhalb der Community beigetragen, nach der fortan eben jeder seines eigenen Glückes Schmied sein sollte.

Will Smith ist ein Kind dieser Verhältnisse, er verkörpert als Filmschauspieler den idealtypischen black male, der es jenseits von Pusher-, Pimp- und Gangstertum geschafft hat. Weil er sich vom strukturellen Rassismus nicht entmutigen lässt und dem eigenen, individuellen Empowerment vertraut? Smith ist als Rapper und Schauspieler ein role model der Integration, das macht ihn umgekehrt für ein neoliberales Aufsteigerdrama attraktiv und überzeugend – wie es der Popjazz von George Benson damals war. HARALD FRICKE

„Das Streben nach Glück“. Regie: Gabriele Muccino. Mit Will Smith, Jaden Christopher Syre Smith, Thandie Newton u. a., USA 2006, 117 Min.