Wolfgang Neuss zum Ehrenbürger

betr.: „Einer Krawallschachtel würdig“

Anfang der 80er Jahre habe ich mit einer Bekannten gestritten. Sie hielt Biermann für einen Opportunisten und Hofnarren, der sich im Schatten des ZK ungehindert hat lustig machen können, während gleichzeitig anderen unbequemen Geistern wie Jürgen Fuchs oder Günter Kuhnert nur Schwierigkeiten bereitet wurden. Weil die DDR-Führung wusste, dass Biermann darum in Künstlerkreisen nicht hoch angesehen war, riskierte sie (mit den für sie fatalen Folgen) die Ausbürgerung. Ich nahm Biermann ab, dass er es mit seiner Kritik am real existierenden Sozialismus der DDR von links ehrlich meinte, zumal er nach seiner Ausbürgerung kein gutes Haar an der BRD ließ.

Heute weiß ich, dass die damalige Bekannte wohl Recht hatte: Er hatte in der DDR und hat später im Westen nur mit seinem Linkssein kokettiert, und ist nach dem Zusammenbruch der DDR in eine unkritische Haltung gegenüber den hier herrschenden Verhältnissen verfallen. Dass er nun aus parteitaktischen Gründen von einem CDU-Mann zum Ehrenbürger vorgeschlagen wurde und sozialdemokratische Leisetreter wie Thierse und Schröder dies unterstützen, ist trauriger Gipfelpunkt des Verfalls von Ehrlichkeit und Anstand.

Wenn ein Berliner durch und durch, Antinazi, Kritiker der DDR, Unbequemer im Westen, der immer seinen Weg ging, wegen seiner Geradlinigkeit zum Ehrenbürger zu ernennen wäre, dann wäre diese Ehre posthum Wolfgang Neuss zuzusprechen. Ein Biermann kann ihm nicht das Wasser reichen. AXEL IWERT, Berlin