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Archiv-Artikel

Soll es das gewesen sein?

Das kleinste deutsche Bundesland ist hoch verschuldet, seine Zukunft ist ungewiss. Heute wird Bremen 60 Jahre alt. Ist es sinnvoll, es als eigenes Bundesland zu erhalten? Oder täte man besser daran, Bremen mit seinem großen Nachbarn Niedersachsen zu fusionieren? Ein Pro und Contra

Warum Bremen selbständig bleiben muss

von KLAUS WOLSCHNER

Muss Bremen selbständiges Bundesland bleiben? Um es vorweg zu sagen: Es muss nicht. Aber es kann.

1949, Bremen war da gerade drei Jahre alt, gaben die alliierten Militärgouverneure einen guten Tipp an die Adresse der entstehenden Bundesrepublik: Sie solle bei einer Überprüfung der Landesgrenzen „den überlieferten Formen Rechnung tragen“ sowie die Schaffung von Ländern vermeiden, „die im Vergleich mit den anderen Ländern zu groß oder zu klein sind“.

Was heute in der aktuellen Debatte an Argumenten benannt wird, fällt weit hinter diese Kriterien zurück. Wenn Bremen in seiner Rolle als Betreiber eines wichtigen Hafens – Bremerhaven – den Grund für die Selbständigkeit formuliert, überzeugt außerhalb der engen Landesgrenzen niemanden. Frankfurt mit seinem wichtigen Flughafen hätte dasselbe Recht, sich von Wiesbaden unabhängig zu machen. Dass die Steuerreform von 1969 dazu geführt hat, dass die reiche Stadt Bremen in der Zuordnung der Steuerarten abfällt, ist eher ein Grund, das Steuersystem zu ändern als die Landesgrenzen.

Der Bremer Ökonom Rudolf Hickel hat einmal angemahnt, Bremen müsse in Verteidigung seiner Selbständigkeit Argumente formulieren, die einem Autobauer in Sindelfingen erklären, warum er Steuern für den Länderfinanzausgleich an Bremen zahlen soll. Verglichen mit den Milliarden, die für den Aufbau Ost abfließen, sind die 500 Millionen für Bremen zwar eher Peanuts. Aber auch Peanuts isst man gern. Würden die süddeutschen Länder bei einer Länderfusion weniger zahlen, würde der Norden insgesamt ärmer. Und es träfe vor allem Nordwest-Niedersachsen, in das Bremen ausstrahlt, indem es Arbeitsplätze für Pendler schafft.

In Hamburg kratzt das niemanden. Die Arroganz, mit der Hamburg seine Eigeninteressen vertritt, hat die Niedersachsen schon früh auf Distanz zu der Idee eines Nordstaates getrieben. Auch in Schleswig-Holstein gibt es aktuell das Gefühl, dass man in Hamburg wenig Verständnis hat für das, was nicht zum eigenen Speck gehört. Jedes Flächenland hat ein ausgeprägtes Gespür dafür, dass der Starke auch für den Schwachen sorgen muss, dass wirtschaftsschwache Regionen auch ihren Teil beanspruchen dürfen. Die Praxis der Hamburger Interessenvertretung ignoriert dieses Solidarprinzip – innerhalb der Stadtstaatsgrenzen gibt es das Problem ja auch nicht.

Das stärkste machtpolitische Argument für die Bremer Selbständigkeit ist – abgesehen von den plebiszitären Hürden – die Machtbalance zwischen Bund und den Ländern. Wenn es wirklich nur fünf starke Bundesländer in der Berliner Republik gäbe, dann hätte der Bund kaum noch etwas zu sagen. Die Interessen in Brüssel würden von Bayern, dem Nordstaat, dem „Oststaat“ und so weiter vertreten – im Zweifelsfall auch konkurrierend gegeneinander. Die Föderalismusreform hat gezeigt, wie schwierig jetzt schon die Machtbalance zwischen Bund und Ländern ist. Wissenschaftspolitik und Bildungspolitik wären in einem Ministerium in Berlin kompetenter aufgehoben als in der Kultusministerkonferenz. Ähnliches gilt für die Wirtschaftsförderung: Da machen die Bundesländer Schulden für „Investitionen“, die eigentlich Subventionen sind und nicht mehr bewirken, als einzelne Unternehmen über eine Landesgrenze zu locken. Da fahren Landesfürsten nach China, um ihrer Rolle durch einen Ausflug in die große weite Welt einen staatsmännischen Anstrich zu geben. Sogar bei einem rein europäischen Thema wie der Luft- und Raumfahrt ist die Konkurrenz der Landesfürsten untereinander, verglichen mit der schlagkräftigen französischen Interessenvertretung, ein klarer deutscher Nachteil.

Vernünftig wäre eine Föderalismusreform, die Kompetenzen an den Bund überträgt und bei den Ländern mehr regionale Traditionen respektiert. Eine Föderalismusreform, die weitreichende Mitwirkungsrechte der Bürger bei der Gestaltung ihres unmittelbaren Lebensumfeldes beinhaltet. Die die Kommunen stärkt, indem sie die Länder entmachtet und ihnen das Schuldenmachen untersagt.

Natürlich ist das nicht durchsetzbar, die föderal aufgebauten politischen Apparate werden das schon im Eigeninteresse nicht ernsthaft thematisieren. Aber eine Länderneugliederung, die nur die Unterordnung Norddeutschlands unter die Achse Hamburg-Hannover brächte, wäre unsinnig. Sie würde die Nordwest-Region schlicht abhängen von der wirtschaftlichen Entwicklung.

Für den Norden Deutschlands ist es genauso wichtig wie für den Osten, dass die Bundesrepublik insgesamt eine Solidargemeinschaft ist – und nicht jedes Land sich selbst das Nächste.

Die ungekürzte Fassung dieses Textes steht auf www.mehr-dazu.de

Warum das Bundesland Bremen weg muss

von JAN KAHLCKE

Man könnte es sich jetzt einfach machen. Könnte von dem Land reden, in dem Amtsvormünder kleine Kinder im Kühlschrank vergammeln lassen. Wo „Modernisierung des Gesundheitswesens“ bedeutet, die Top-Jobs an Leute ohne Zeugnisse zu vergeben. Von dem Land mit den schlechtesten Schulen der Republik. Von dem Land, das 200 Millionen Euro in einem Einkaufszentrum mit Rakete verbuddelt. Von der Inzucht in diesem kleinen Gemeinwesen, das sich so sehr an sich selbst und seiner Besonderheit berauscht, dass es immer zuvörderst darauf ankommt, ob einer Bremer oder wenigstens Bremerhavener ist, damit er was werden kann.

Aber um all das geht es gar nicht.

Warum gibt es dieses Bundesland aus zwei 60 Kilometer auseinander liegenden Städten? Weil die Amerikaner nach dem zweiten Weltkrieg einen eigenen Seehafen wollten. Inmitten einer Neuordnung, die so inkompatible Stämme wie Westfalen und Rheinländer zusammenzwang, könnte es keinen anderen Grund für einen solchen Rückfall in die deutsche Kleinstaaterei geben.

Fürs Erste ging ja auch alles ganz gut: Unter dem rührigen Bürgermeister Wilhelm Kaisen wühlten die Bremer sich aus dem Schutt, und schon bald bauten sie an der Weser wieder die dicksten Pötte der Welt. Der Schiffbau markiert allerdings auch das Ende des Modells Bremen: Die Werftenkrise der 80er zog das ganze Land mit in den Abgrund. Das staatsgläubige SPD-Establishment schickte einen der Seinen als Retter vor, den unglücklichen Friedrich Hennemann. Als rauskam, dass er die für die Integration der Ost-Werften in den Vulkan-Verbund bestimmten Fördermittel in das taumelnde Bremer Mutterhaus geschustert hatte, ließen sie ihn fallen wie eine heiße Kartoffel.

Dabei hat Hennemann mit seinem Vorgehen die Blaupause für alles weitere Bremer Regierungshandeln vorgelegt: Fortgesetzten Subventionsbetrug. 8,5 Milliarden Euro hat der Bund dem Land außer der Reihe spendiert – zur Sanierung seines Haushalts. Passiert ist das Gegenteil: Der Schuldenberg wuchs um ein Drittel, die jährliche Neuverschuldung ist heute höher als vor der „Sanierung“. Ein Fass ohne Boden.

Man könnte also argumentieren, die Bremer hätten das Recht auf Selbständigkeit verwirkt. Wäre Bremen eine Kommune in Niedersachsen – es stünde längst unter der Kuratel der Kommunalaufsicht. Damit kommen wir zum Kern des Problems: dem deutschen Föderalismus. Die Länder können Schulden machen, bis der Arzt kommt. Und der kommt am Ende immer – in Gestalt des Bundes, der nicht einfach ein Land sterben lassen kann.

Und dann sind da noch die bizarren Asymmetrien: Wie soll man von Edmund Stoiber oder Jürgen Rüttgers verlangen, auf Augenhöhe mit Jens Böhrnsen zu verhandeln, einem besseren Oberbürgermeister, der kein Zwanzigstel ihres Wahlvolkes auf die Waage bringt? Das ist, als hätte Albanien einen ständigen Sitz im Weltsicherheitsrat. Warum haben Bremer eine eigene Vertretung in Brüssel, Dortmunder oder Essener dagegen nicht? Warum wurschtelt in Bremen ein eigener Verfassungsschutz vor sich hin? Wenn Bremen sich all das leisten könnte, gäbe es keine Debatte darüber. Kann es aber nicht.

In Bremen argumentieren sie gern, das liege nur an der Ungerechtigkeit des Steuersystems. Nur weil die wohlhabenden Bremer ins Umland zögen und ihre Steuern dort zahlten, entspreche das Steueraufkommen in keiner Weise der Wirtschaftskraft. Bremen werde benachteiligt.

Das Gegenteil ist der Fall: Durch das Stadtstaatenprivileg bekommt Bremen ein Drittel mehr aus dem Länderfinanzausgleich, als ihm eigentlich zustünde. Nur reicht das Geld eben trotzdem nicht für einen Operettenstaat.

Wenn die Landesgrenze das Problem ist, warum sie dann nicht einfach niederreißen? Dann wäre Bremen seine teuren Repräsentationspflichten los. Die „Hafenlasten“ würde Niedersachsen sich mit dem Bund teilen. Die im Zwei-Städte-Staat anfallenden „Kosten der Teilung“ entfielen, Bremerhaven wäre einfach die achtgrößte Stadt Niedersachsens.

Was wird aus all den liebenswerten Bremensien? Das Theater? Ist längst kaputt gespart. Radio Bremen? Geht gerade im Formatradio-Sumpf unter. Die Reform-Uni? Hat ihre interdisziplinären Ansätze bei der Überanpassung an den Mainstream längst über Bord geworfen.

Viel wird also nicht fehlen, wenn das Land Bremen von der Landkarte verschwindet. Falls es jemanden tröstet: Das ist erst der Anfang. Fünf bis sechs Bundesländer sind völlig genug. Mit einer Größe, die die Institutionen rechtfertigt. Und gewichtig genug, um dem Bund konstruktiv Paroli zu bieten.