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Archiv-Artikel

Ist die Maut antieuropäisch?

VERKEHR Die neue deutsche Mautverordnung gilt nur für „Ausländer“. Und das in einem gemeinsamen Haus namens Europa

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Ja

Margrethe Schmeer, 64, Bürgermeisterin der Stadt Aachen (NRW), CDU

Verkehrsminister Dobrindts Pläne für eine neue Pkw-Maut sind in der bisherigen Form ungerecht, kompliziert und würden das Verhältnis zu den Nachbarstaaten sicherlich verschlechtern. Gerade deutsche Städte in Grenznähe profitieren von dem direkten Austausch mit Nachbarländern. So wie Aachen: Niederländer und Belgier machen oft spontane Ausflüge in die Kaiserstadt, um einzukaufen, Museen zu besuchen oder im Restaurant essen zu gehen. Diese Kurzbesuche würden sicher wegfallen, wenn jedes Mal viel Geld für die Maut gezahlt werden müsste. Für Deutschland ist der Tourismus ein wichtiger Wirtschaftsfaktor, der nicht beeinträchtigt werden darf. Man fragt sich allerdings, warum gegen das österreichische „Pickerl“ niemand protestiert. Nur weil es das schon immer gibt?

Markus van Tol, 57, Sprecher des Königlichen Autofahrerclubs der Niederlande

Wir sind klar gegen die Pläne zur deutschen Pkw-Maut. Erstens ist sie unfair, da die deutschen Autofahrer über steuerliche Entlastungen von den Ausgaben befreit sind. Zweitens ist sie diskriminierend gegenüber Ausländern und damit ein klares Zeichen gegen den Geist des freien Verkehrs innerhalb der Europäischen Union. Das Argument, die Maut solle auch die Instandhaltung deutscher Autobahnen finanzieren, ist ebenfalls unfair. Denn die Ausländer auf deutschen Autobahnen geben bereits sehr viel Geld aus, indem sie dort tanken und dafür die lokalen Steuern zahlen müssen. Die Abgabe könnte sich schlecht auf die niederländisch-deutschen Beziehungen auswirken. Immerhin reisen jährlich zwei Millionen Niederländer in die Bundesrepublik. Dabei geben sie in Deutschland jährlich rund 750 Millionen Euro aus. Unsere Petition gegen die Maut hat inzwischen 17.000 Unterstützer.

Volker Boehme-Neßler, 51, Europawissenschaftler an der HTW Berlin

Eigene Bürger sollen besser behandelt werden als Bürger anderer EU-Staaten. Das ist das Versprechen der Maut. Das ist das absolute Gegenteil der Idee der Europäischen Integration. Alle Mitgliedstaaten sind gleich, alle Bürger haben die gleichen Rechte. Mit dieser Europa-Methode hat man aus verfeindeten Völkern Partner gemacht. Die Folge: langer Frieden und viel Wohlstand. Das ist – schaut man sich in der Welt um – keineswegs normal. Natürlich ist die Gleichbehandlung schwierig. Sie widerspricht ja einer Praxis, die jahrtausendealt ist. Immer sind Ausländer schlechter behandelt worden als die eigenen Bürger. Aber: Die Gleichbehandlung ist nicht nur humaner. Sie ist auch effektiver. Das kann man nicht ernsthaft wegen einer Pkw-Maut aufs Spiel setzen.

Valerie Wilms, 60, Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur, Grüne

Die CSU-Maut diskriminiert Ausländer und bringt uns bei der Instandhaltung der Autobahnen kein Stück weiter. Im Gegensatz zur Pkw-Maut in anderen europäischen Ländern will die bayerische CSU bewusst nur die Ausländer treffen. Um es allen Koalitionären recht zu machen, wird hier ein unvergleichliches Bürokratie-Monster aufgepumpt, das nur geringe Zusatzeinnahmen erbringt. Wenn Verkehrsminister Dobrindt wirklich etwas für den Erhalt der Straßen tun will, dann muss er die Lastkraftwagen und die Schwertransporter stärker in die Pflicht nehmen. Allein die Ausweitung der Lkw-Maut auf alle deutsche Bundesstraßen würde jährlich bis zu 2,3 Milliarden Euro Mehreinnahmen bringen.

Nein

Thorsten Bullerdiek, 51, Sprecher des Niedersächsischen Städte-Gemeindebundes

Eine Maut ist aus meiner Sicht nicht antieuropäisch, da auch einige Nachbarn Gebühren erheben. Die Maut kann helfen, unser gesamtes Verkehrsnetz für die Energiewende fit zu machen – denn das kann nur gelingen, wenn wir in diese Infrastruktur investieren! Bisher hat der Bund beim Thema Maut leider nur an sich gedacht. Nach Berechnungen der KfW-Bankengruppe müssen aber die Kommunen in den nächsten Jahren bundesweit über 33 Milliarden Euro nachinvestieren, um das bestehende Straßennetz zu erhalten. Das Geld fehlt uns, da vor Ort viele andere Aufgaben zu bewältigen sind. Dazu zählen die Kinderbetreuung, die Sicherstellung des Brandschutzes, die Ausstattung und Erhaltung der Schulen oder die Unterhaltung von Sport- und Freizeitanlagen. Über zwei Drittel aller Straßen in Deutschland sind kommunale Straßen. Von 610.000 Kilometern gehören dem Bund nur 52.000 Kilometer und den Ländern 86.000 Kilometer. Die restlichen 472.000 Kilometer gehören den Kommunen. Daher erwarten wir eine angemessene Beteiligung an den Mauteinnahmen.

Ulrich Klaus Becker, 62, ADAC Vizepräsident, zuständig für Verkehr

Die Absicht des Verkehrsministers, den Straßenerhalt in Deutschland zu sichern, ist nicht antieuropäisch. Unstrittig ist, dass Deutschland künftig mehr in seine Straßen investieren muss. Auf dieser Erkenntnis beruht auch das Mautmodell von Verkehrsminister Dobrindt. Diese Absichten verdienen Anerkennung, aber die möglichen Folgen bereiten mir Sorgen. Es ist denkbar, dass die Europäische Union zwar das deutsche Mautgesetz abnickt – gleichzeitig jedoch das Gesetz, das deutschen Fahrzeughaltern über die Kfz-Steuer eine Kompensation verspricht, kippt. Dann hätten wir eine allgemeine Pkw-Maut in Deutschland. Zudem bedeutet der Einbezug aller Straßen nichts weniger als die Einführung eines Eintrittsgeldes für Autofahrer, die nach Deutschland wollen. Dies ist europaweit ohne Beispiel! Sollte tatsächlich eine Abgabe eingeführt werden, die einseitig ausländische Pkw-Fahrer belastet, werden unsere Nachbarländer ihrerseits über Benachteiligungen für Ausländer nachdenken.

Georg Meller, 55, Inhaber der Website www.pro-pkw-maut-deutschland.de

Die Deutschen sind alles andere als antieuropäisch. Was ist falsch daran, wenn wir uns für den Erhalt unserer Infrastruktur, von denjenigen Unterstützung holen, die unsere Straßen fleißig nutzen? Schließlich sind wir das Transitland Nummer eins in Europa, durch das jedes Jahr aufs Neue Blechlawinen in Richtung Süden ziehen. Und außerdem wären sie ja nun wirklich nicht die Einzigen, die für Deutschlands Straßen aufkommen. Durch unsere Kfz-Steuer tragen wir Deutschen aktuell ja eh schon die Kosten für unser insgesamt gut ausgebautes Straßennetz.

Noemi Roth hat den Streit auf der Facebook-Seite der taz kommentiert

Die Maut wird uns Deutsche am Ende genau so betreffen wie die anderen europäischen Länder. Die Einrichtung des Mautsystems wird durch die wenigen Ausländer nie wieder hereingeholt werden können. Dann wird sie – oh Wunder – auf alle Autos ausgedehnt werden. Wir Deutschen zahlen Steuern. Wenn die mal nicht für irgendwelchen Murks ausgegeben würden, wäre die Diskussion über diese Maut gar nicht nötig. Eine Unverschämtheit!