piwik no script img

Archiv-Artikel

Das schwedische Krokodil

Henning Mankell, schwedischer Krimiautor und mosambikanischer Theaterdirektor in einer Person, geißelt bei seinem Auftritt bei den „Berliner Lektionen“ die europäische Ignoranz gegenüber Afrika: „Benutze deine Fantasie, um die Welt zu verstehen“

VON DOMINIC JOHNSON

Die Hauptstadt von Europa, findet Henning Mankell, ist Lampedusa. Auf der kleinen Insel im Mittelmeer südlich von Sizilien, „wo jeden Morgen tote afrikanische Flüchtlinge an Land treiben“, sieht der in Mosambik lebende schwedische Schriftsteller das wahre, unmenschliche Gesicht dieses privilegierten Kontinents. „Ich hasse dieses Europa!“, ruft Mankell.

Das Publikum der „Berliner Lektionen“ im Berliner Renaissance-Theater am Sonntagmittag hört ein wenig irritiert zu. Mit dem Preis der Kosmetika und der Parfüme des voll besetzten Auditoriums könnte man ein kleines afrikanisches Flüchtlingslager eine Zeit lang ernähren. Wenn Mankell diesem Publikum von Afrikas Elend erzählt, gibt es deutlich weniger zustimmendes Gemurmel, als wenn er von seinem Krimihelden Wallander spricht oder gefällig vom Lauf der Welt plaudert.

Mankells Lebenshorizont lässt sich in Zahlen ausdrücken. Als Kind im Norden Schwedens ging er bei minus 35 Grad zur Schule, als Theaterregisseur in Mosambiks Hauptstadt Maputo probt er in stickigen Räumen bei bis zu 45 Grad. Das prägt. Schulfrei gab es in Schweden erst ab minus 36 Grad, also stritt er sich als Kind mit seinem Vater um die korrekte Thermometeranzeige. In Afrikas Hitze hingegen „lernt man, den Schatten zu teilen“.

Afrika ist heiß, das ist das erste Bild, das Mankell von dem Kontinent vermittelt. Auch im Folgenden gibt er sich mit Klischees zufrieden: Seine nächste Geschichte handelt von tanzenden Dorfbewohnern. Was Mankell erlebt, passiert immer „in Afrika“, steht für Afrika insgesamt, obwohl der Süden Mosambiks genauso wenig ganz Afrika darstellt wie der Norden Schwedens ganz Europa.

Abgesehen von dieser gewissen Oberflächlichkeit trifft der Schwede die Deutschen durchaus am wunden Punkt. Er rechnet vor, dass Westdeutschland seit der deutschen Einheit mehr Geld in die ehemalige DDR (16 Millionen Einwohner) geschaufelt hat als ganz Europa im gleichen Zeitraum nach ganz Afrika (800 Millionen Einwohner). Daher sei das Gerede, die Entwicklungshilfe für Afrika sei sowieso schon zu hoch und eine Ausweitung sinnlos, eine von vielen Lügen, „die mich wütend machen“. Befremdung im Publikum. Allen Kindern Afrikas Lesen und Schreiben beizubringen würde so viel kosten wie das, was die Briten pro Jahr für Haustierfutter ausgeben, schimpft Mankell. Da seufzen die Zuhörer erleichtert, sie sind ja keine Briten.

Dann aber zielt Mankell wieder genauer. Korruption in Afrika? „Folge dem Geld, und du endest bei Siemens“, lästert der Krimiautor und hämmert dem Publikum ein: „Auf dem afrikanischen Kontinent gibt es nur ein einziges Problem, und das ist Armut.“

Wie so oft bei öffentlichen Äußerungen geißelt Mankell auch das Afrikabild der Medien. „Man lernt alles darüber, wie Afrikaner sterben, aber nichts darüber, wie sie leben.“ Dass Mankell dem etwas Positives entgegensetze, kann man zwar nicht wirklich sagen. Auch in seinen Afrika-Romanen spielt meist der Tod eine zentrale Rolle. Aber darum geht es nicht. Es geht um eine andere Haltung: Neugier statt Selbstgefälligkeit.

„Benutze deine Fantasie, um die Welt zu verstehen“, beschwört Mankell seine Zuhörer. Kinder können das am besten: „Der wahre Künstler ist das Kind, denn wenn man klein ist, hat man ein großes Vertrauen in seine eigene Vorstellungskraft.“

Schlechtere Schriftsteller als Mankell würden mit dieser Haltung rasch der Versuchung erliegen, sich mit dem Verweis auf den inneren Bilderreichtum die Mühsal des Umgangs mit der wirklichen Welt zu ersparen. Das Ergebnis wäre ein typisch unscharfer Blick nach Afrika, der auf Impressionismus und Exotik vertraut statt auf Genauigkeit und Realismus. Mankell ist dafür zu gewitzt. Als Kind in Schweden, erzählt er, sah er Krokodile im Fluss, wovon er aber den Erwachsenen nichts sagte; die hätten ihm ja weisgemacht, das seien bloß Baumstämme. Die schwedischen Krokodile aber haben Mankell nach Afrika gezogen. Und als Erwachsener, fährt er fort und grinst verschmitzt, ist er in seine schwedische Heimat zurückgegangen – „und die Krokodile waren noch da“.