: Faschismus im Fasching
Heute beginnt die fünfte Jahreszeit. Ab jetzt ist alles erlaubt – bis Aschermittwoch. Doch muss auch das Dritte Reich komisch sein? Anmerkungen zu den Konjunkturen einer „Hitleratur“
VON MARGRET FETZER
Vergangene Woche ist in Deutschland „Borat“ angelaufen. Ein Film, der jede moralische, ethische und politische Grenze überschreitet und damit wieder die Frage auf den Tisch bringt, wie viel Humor erlaubt sein sollte. Kann man sich über alles lustig machen?
Im Karneval schon. Seinem Wesen entspricht es, alles und jeden auf die Schippe zu nehmen. Vor allem das, was als unantastbar gilt. Zumindest hierzulande galt jahrzehntelang nur ein letztes Tabu: das Dritte Reich. In Anbetracht der Gräueltaten der Nationalsozialisten verging den Deutschen die Faschingslaune. Doch auch da werden jetzt die Grenzen eingerissen.
In seiner Abhandlung „Literatur und Karneval“ identifiziert der russische Kritiker Mikhail M. Bakhtin karnevalistische Elemente in parodistischer Kunst. Bei der Untersuchung des Karnevals im Mittelalter und der frühen Neuzeit stellt Bakhtin fest, dass man damals noch um einiges wilder war. Jede und jeder mit jedem und jeder, drunter und drüber soll es da gegangen sein. Körperlichkeit in jedweder Form, Fressen, Kotzen, Ficken, Pissen, Scheißen – alles durfte fröhlich ausgestellt werden. Der Karneval war der große Gleichmacher. Allgemein übliche Werte und Hierarchien waren während dieser Tage außer Kraft gesetzt, und so war es denn auch möglich, in Rollen zu schlüpfen, die im Alltag unerreichbar gewesen wären: Könige wurden zu Bettlern, dafür konnte sich das einfache Volk als herrschend fühlen: Laut Bakhtin ist dem Karneval wie auch der parodistischen Literatur nun mal gar nichts heilig.
Besonders beliebt waren natürlich damals wie heute gerade prominente Rollen. Eindeutig und leicht zu erkennen soll das Kostüm sein – nichts Schlimmeres, als beim Fasching gefragt zu werden, wen oder was man denn nun darstellen wolle.
Adolf Hitler verspricht da zweifelsohne einen großen Wiedererkennungseffekt: Typischer Haarschnitt und eine international wohlvertraute Barttracht dürften kaum Zweifel an der Wunschidentität des Karnevalisten zulassen. Auch die Uniform sowie etliche charakteristische Gesten ergeben sich wie von selbst. Doch auf dem Fasching trifft man Hitler noch immer eher selten, die direkte Konfrontation mit Kritikern dieser Karnevalslaune scheint dann doch eher abzuschrecken.
Dafür ist im Film das Nazi- und Hitler-Kostüm umso beliebter: Kein Wunder, denn im Grunde kann man ja das ganze Dritte Reich als vollkommen verrückten Ausnahmezustand, als absurde Faschingsveranstaltung und inszeniertes Rollenspiel interpretieren – oder auch als einen in die Irre galoppierenden Zirkus, ein Theaterstück, ein Spiel oder einen Comic. Vielleicht muss man sogar hin und wieder einen solchen unernsten Zugang wählen, um in allen anderen Zeiten den Ernst der Erinnerung an den Nazi-Terror wahren zu können – vielleicht muss es, so Bakhtins Hypothese, beim Karneval drunter und drüber gehen dürfen, damit man sich im Normalfall den geltenden Hierarchien umso besser unterordnen kann.
Charlie Chaplins Satire „Der große Diktator“, während des Krieges 1940 erschienen, ist sich des inszenatorischen Charakters des Dritten Reichs voll bewusst. Er karikiert Hitlers Redestil mit seinem grotesk debilen Gestammel, aus dem man nur hin und wieder einzelne Wortfetzen wie „Wiener Schnitzel“ oder „Sauerkraut“ heraushört. Chaplin brilliert in der Doppelrolle Adolf Hitlers (Adenoid Hynkels) und der eines jüdischen Barbiers, der die Machtübernahme der Nazis verschlafen hat und mit den nun geltenden Regieanweisungen entsprechend wenig vertraut ist. Hynkels akrobatischer Tanz mit dem Globus gerät zur Clownsnummer, als der Erdball zerplatzt, und schließlich kommt es, wie es kommen muss: Der Zirkus des Dritten Reichs endet in einem Karneval, als sich am Ende alle Hierarchien verkehrt haben. Der Jäger wird zum Gejagten.
Hitler, der oben war, ist plötzlich ganz unten, denn als er inkognito in österreichischer Tracht die Invasion in „Osterlich“ vorzubereiten versucht, wird er von zwei SS-Mitgliedern aufgegriffen. Denn die halten ihn für jenen jüdischen Barbier, der sich just zu diesem Zeitpunkt in Nazi-Uniform aus einem KZ geflüchtet hat und nun entsprechend seinerseits für Hitler gehalten wird. Zwar ist diese Verwechslung äußerst vorhersehbar, aber sie ist durchaus inhaltsschwer: Wer Hitler und wer Jude ist, ist nur eine Frage des Outfits. Herrschaft, auch oder gerade die des NS-Staats, lebt maßgeblich von ihrer Inszenierung und ihren Kostümen.
Im Grunde, so suggeriert es „Der große Diktator“, war das Dritte Reich ein Riesentheater. In Ernst Lubitschs „Sein oder Nichtsein“ von 1942 soll denn auch an einem polnischen Schauspielhaus ein Hitler-Klamauk gegeben werden, der natürlich zensiert wird. „Sein oder Nichtsein“ – zu Beginn dieses großen Monologs von Shakespeares Hamlet hatte sich der Galan der Ophelia-Schauspielerin immer für ein Schäferstündchen zur Angetrauten des Hamlet-Darstellers aus dem Zuschauersaal davongemacht. Doch plötzlich holt das Dritte Reich das Theater von der Bühne herunter in die Realität, und die Schauspieler müssen nun um ihr Leben, im wahrsten Sinne des Wortes um „Sein oder Nichtsein“ spielen. Der Star des Ensembles gibt nun statt des Hamlet einen Nazi-Kommandanten, während Ophelia in die Rolle einer Spionin schlüpft, die auch mal für anderweitige Dienste zur Verfügung steht. Zum Erstaunen der Schauspieler läuft das System dennoch weiter, wenn es natürlich trotzdem ab und zu brenzlig für sie wird. Obwohl – so erstaunlich ist das am Ende gar nicht, schließlich steckt ja nichts Echtes oder Essenzielles hinter diesem System, es ist also ganz und gar gleich, wer auf dieser Bühne welche Rolle ausfüllt.
„Das Leben ist schön“, wenn es einem gelingt, das Dritte Reich und den Holocaust als ein Spiel und dazu noch ein wenig ernstzunehmendes zu verstehen. So erklärt es einem Roberto Benignis Film von 1997. Aber immerhin, das verspricht der Vater seinem kleinen Sohn im KZ, wenn er beim Versteckenspielen weiter so gut mitmacht, dann werden sie gemeinsam genügend Punkte erwerben, um den Hauptpreis, einen echten Panzer, für sich verbuchen zu können. Ein Versteckspiel zwar, aber immerhin doch ein Spiel ist das Dritte Reich. Indem er seinen Sohn dazu bringt, diese Spielregeln zu verinnerlichen, gelingt es dem Vater, ihn nicht nur vor dem sicheren Tod zu bewahren, sondern ihm zugleich auch die grausigen und menschenverachtenden Hintergründe dieses Spiels vorzuenthalten. Während sich der Kleine in einer Tonne verstecken muss, wird sein Vater von einem KZ-Aufseher abgeführt – zur Erschießung, aber das weiß der Sohn natürlich nicht. Der weiß nur, dass sich sein Vater selbst noch beim Abführen über die Spielgegner, die immer brüllen, lustig macht, indem er deren Stechschritt imitiert.
Jetzt hat sich erstmals auch die deutsche Filmkunst an der Hitler-Parodie versucht. In Walter Moers’ von Pigor gesungenem Videoclip „Ich sitz in meinem Bonker“, der mittlerweile schon fast vier Millionen Mal im Internet angeklickt wurde, begegnet uns Hitler als Comicfigur. Die Art der Inszenierung ist recht eigen und ungewöhnlich, denn Hitler kommt hier ganz menschlich, ja sogar nur allzu menschlich rüber. Er säuft Chantré und sitzt mit seinem dicken Bauch wahlweise auf dem Klo oder in der Badewanne, zusammen mit Schäferhund Blondi und etlichen Entchen, die Hitler’sche Haar- und Barttracht tragen und ihn, Adolf, die „alte Nazi-Sau“, zur Kapitulation überreden wollen. Hier findet Karnevalisierung sozusagen von oben nach unten hin statt: Die imposante und prominente Figur Hitlers wird zum Mann von nebenan, indem sie ganz auf ihre Schlichtheit und Körperlichkeit reduziert wird: einfältige Kriegsanalysen („Diese alliierten Bomberverbände nerven“ oder „Nein, dieser Churchill“), Schmusen mit Blondi, Saufen, Darm- bzw. Blasenentleerung. Ein Hitler aus dem gemeinen Volk, ein Hitler’scher Homer Simpson sozusagen – so hat man ihn noch nie gesehen.
Man mag sich fragen, ob diese Karnevalisierung der Hitler-Figur eine (gefährliche) Trendwende im deutschen Umgang mit dem Dritten Reich bedeutet, und sicherlich wird uns diese Diskussion weiter begleiten, denn im neuen Jahr erwartet uns ein weiterer Hitlerfilm, diesmal ein Film in voller Kinolänge, mit Helge Schneider als „Mein Führer“. Deutschland befindet sich hier gegen Kriegsende in einer aussichtslosen Lage, aber man hofft, das Volk mit einer charismatischen Rede des Führers noch zu einem letzten Aufbäumen motivieren zu können.
Doch Hitler ist depressiv, und da seine Stimme nicht mehr so richtig will, holt man sich kurzerhand einen jüdischen Dramaturgen und Theaterregisseur (Ulrich Mühe) aus dem unweit gelegenen „Naherholungsheim Sachsenhausen“ (Zitat Film), der Hitler wieder auf Vordermann bringen soll. „Mein Führer“ erinnert in weiten Teilen an Chaplins „Großen Diktator“: Hauptschauplatz ist in beiden Filmen der Führerpalast, und auch in „Mein Führer“ mündet der Film in eine zentrale Schlussrede, die nicht von Hitler selbst, sondern von seinem Alter Ego, hier „seinem Juden“ (Zitat Film), gehalten wird. In der Darstellung der Hitlerfigur unterscheidet sich „Mein Führer“ allerdings grundlegend vom „Großen Diktator“: Zwar werden der Führer wie auch der Diktator als ähnlich inkompetent dargestellt, aber während Hitler/Hynkel bei Chaplin aus genau diesem Grund austauschbar ist und am Ende durch den jüdischen Barbier ersetzt wird, nähert sich „Mein Führer“ Adolf Hitler als Person: Dass Hitler so ist, wie er ist, so gibt uns der Film zu verstehen, hängt damit zusammen, dass der kleine Adolf als Kind allzu oft misshandelt wurde, und dann hat der „Herr Vater“ (Zitat Film) ihm auch noch sein Haustier getötet. Indem „Mein Führer“ Hitler also als einen Menschen mit eigener Geschichte darstellt und sein Handeln als gewissermaßen begründbar vermittelt, wird er als karnevalistische Figur untauglich. Ein als Kind angeblich misshandelter Hitler ist nicht besonders komisch; die Komik verlagert sich in bisweilen recht eigentümlicher Weise auf „seinen Juden“. Rollenspiele sind nicht möglich, hier wird kein Fasching, sondern nur Faschismus angeboten.
Das Dritte Reich als Zirkus, Theater, Spiel und Comic: in all ihrer Verschiedenheit eignen sich all diese Ansätze bestens, den inszenatorischen quasikarnevalistischen Charakter des Dritten Reichs herauszustellen – und Hitler ist Karnevalskönig. Aber irgendwie unwohl fühlt man sich dabei ja doch: Das mahnende Hochhalten der Erinnerung an das Dritte Reich und den Holocaust ist schließlich einer der unumstößlichsten Werte eines heutigen „deutschen Bewusstseins“: Gerade da sind Witze und Ausgelassenheit wirklich nicht angebracht.
Laut Bakhtin waren die närrischen Tage aber durchaus von der Obrigkeit gewollt, und zwar als Ventil: Die Leute sollten sich ruhig mal eine Weile austoben und alle Ernsthaftigkeit hinterfragen dürfen, denn danach würden sie sich wieder viel gefügiger den geltenden Normen beugen und sich von diesen leiten lassen. Vielleicht brauchen wir eben hin und wieder etwas „Hitleratur und Karneval“, nicht nur, um uns des inszenatorischen Charakters des NS-Staates bewusst zu werden, sondern gerade auch, um uns zu allen übrigen Zeiten verantwortungsvoll der Erinnerung an das Dritte Reich unter Hitler stellen zu können.
MARGRET FETZER, Jahrgang 1980, ist Dozentin für englische Literatur und Literaturtheorie an der Ludwig-Maximilians-Universität München