piwik no script img

Archiv-Artikel

Wer wirft nun den Schatten?

FOTOGRAFIE Am Montagabend unterhielten sich der Literaturwissenschaftler Helmut Lethen und der Feuilletonredakteur der „Süddeutschen Zeitung“, Lothar Müller, im Fotomuseum in der Jebensstraße über Bilder und ihre Wirklichkeit

Bei Lethen werden Bilder gezeigt, aber auch beschrieben. Und sie werden erzählt

Man musste ebenso die schweren theoretischen Kaliber befürchten, wie man auf intellektuelle Brillanz hoffen durfte. Denn Mitveranstalter des Gesprächs über den „Schatten des Fotogafen“ am Montagabend im Fotomuseum der Kunstbibliothek der Staatlichen Museen war die Kolleg-Forschergruppe BildEvidenz der Freien Universität. Wie auf der Website der Forschergruppe zu lesen, geht sie von „der Prämisse aus, dass bildliche Evidenzgenerierung als eine ästhetische Grundkategorie sowohl Verfahren der Repräsentation von Wirklichkeit einschließt als auch eine genuine visuelle Präsenz hervorbringt, die außerhalb der Bilder nicht zu finden ist“. Uff. Helmut Lethen vereinfachte es so: „Ist die Wunde von Schweinsteiger eine mediale Konstruktuion?“ Als Wunde des „Kriegers“, zu der sie die Bild-Zeitung stilisierte: ja. Als schlichte in Film und Foto dokumentierte Verletzung unter dem Auge: nein.

Helmut Lethen, berühmt für seine „Verhaltenslehren der Kälte“ (1994) und heute Direktor des Forschungszentrums Kulturwissenschaften in Wien, ist der Theorie der Konstruktion und des Entlarvungsdiskurses überdrüssig, das bezeugt sein Essayband „Der Schatten des Fotografen“, der im Frühjahr mit dem Preis der Leipziger Buchmesse 2014 ausgezeichnet wurde. Dass er deswegen nicht einer Unmittelbarkeit der visuellen Erfahrung das Wort redet, wurde in der Befragung durch den Literaturwissenschaftler und SZ-Redakteur Lothar Müller deutlich.

Warum, wollte der nun erst einmal wissen, schreibt ein Literaturwissenschaftler ausgerechnet über Bilder? „Um der Determination der Grammatik in Hinblick auf die Wahrnehmung zu entkommen“, antwortete Lethen, wobei ihm die Ironie nicht entging, dass er dies dann doch wieder unter dem Regime der Grammatik kommuniziert. Dem Wechsel der Medien Bild und Sprache ist so leicht nicht zu entkommen.

„Im Schatten des Fotografen“ werden Bilder gezeigt, aber auch beschrieben. Und sie werden erzählt. Dabei zeigt sich, dass es eine Vielzahl von Erzählungen zu den Bildern gibt. Manchmal, wie im Fall von Dorothea Langes „Migrant Mother“, gibt es so viele, dass man meinen könnte, das in den 1930er Jahren entstandene Porträt einer kalifornischen Wanderarbeiterin sei nur Spielball und Vorwand seiner Deutungen, angefangen von der ikonischen „Mona Lisa der Depressionszeit“ bis zur wieder ausfindig gemachten Florence Owens. Sie ist die Frau, die Lange 1936 aufnahm und, wie Owens rückblickend meinte, einmal mehr ausbeutete.

Wo sich bei Lange die Geschichten häufen, fehlen sie in anderen Fällen fast völlig. Zu diesen Fälle gehört das Coverfoto von Lethens Buch. Seine idyllische Anmutung zerstört die rückseitige Beschriftung „Die Minenprobe“ schlagartig. Denn nun ist klar, die Frau, die so selbstversunken mit gerafftem Rock durch den flachen, dabei milchig-opaken Fluss schreitet, wird dazu missbraucht, Minen aufzuspüren. Die Evidenz der Bilder steckt, so war es dem Gespräch im Laufe des Abends zu entnehmen, in all diesen Erzählungen, sofern man sie nicht als Entlarvungsmanöver begreift, sondern als Wege und Spuren dahin, irgendwann dann doch sagen zu können, was uns an den Bildern warum berührt.

Eine Erzählung dazu fehlt Lethen, stellte sich dann heraus. Der Schatten nämlich, der auf das Kleiderbündel fällt, das Johannes Hähle, Fotograf bei der PK-Kompanie 637, im September 1941 in Babi Jar aufnahm, ist gar nicht der Schatten des Fotografen. Der Einfall des Sonnenlichts straft Helmut Lethens Annahme, die seinem Buch sogar den Titel gab, leider Lügen. Bleibt also die beunruhigende Frage, wer da noch, direkt neben dem Fotografen, am Ort des Verbrechens war.

BRIGITTE WERNEBURG