: Wohnlage = Lebenserwartung
Wer in Gröpelingen geboren wird, hat fünfeinhalb Jahre weniger zu leben als ein Schwachhauser. Und alle BremerInnen zusammen sterben ein Jahr vor dem (durchschnittlichen) Rest der Republik
Von Henning Bleyl
Zuerst die gute Nachricht: BremerInnen über 60 fühlen sich gesünder als ihre AltersgenossInnen anderswo in Deutschland. Das geht aus einer Untersuchung des Bremer Instituts für Präventionsforschung und Sozialmedizin hervor, die mit bundesweit vom Robert-Koch-Institut erhobenen Daten verglichen wurde. Die schlechte Nachricht: Diese Selbsteinschätzung wird nicht durch objektive Indikatoren wie Lebenserwartung oder Krankheitsquoten bestätigt.
Bremen teilt mit dem Rest der Republik die häufigste chronische Krankheit: Bluthochdruck. Aber während bundesweit eine Senkung der Sterblichkeit für diese Erkrankungsgruppe zu beobachten ist, steigt sie im Land Bremen stark an. Die verbreitetsten Krankheiten der unter 40-Jährigen sind Allergien, zwölf Prozent aller BremerInnen dieser Altersgruppe leiden daran. In Sachen Übergewicht hingegen kann das Land punkten: Zwar gelten 43 Prozent der Männer als zu dick, weitere 13 sogar als „adipös“ – zu deutsch fettleibig –, bundesweit aber fallen 61 Prozent der Männer in diese Kategorien. Nichtsdestotrotz bleibt festzuhalten, dass jeder zweite Bremerhavener zwischen 41 und 60 übergewichtig ist.
Bei einem zweiten wesentlichen Gesundheitsrisiko, dem Rauchen, sind die Zahlen ebenfalls besorgniserregend: 40 Prozent der Bremer Männer zwischen 40 und 49 Jahren greifen täglich zur Zigarette, deutschlandweit sind das nur 32 Prozent. Und: Quer durch alle Altersgruppen wird in Bremerhaven deutlich mehr geraucht als in Bremen-Stadt. Die höhere Lungenkrebsmortalität bei Bremerhavener Männern wurde bereits im Gesundheitsbericht der Gesundheitssenatorin von 1998 beschrieben.
In Sachen Lebenserwartung ist es in Bremen – rein statistisch gesehen – daher nicht zum besten bestellt: Im Ranking der 16 Bundesländer steht Bremen auf Platz 16. Der durchschnittliche deutsche Mann lebt ein gutes Jahr länger (76,2 Jahre), allerdings drückt sich hier vermutlich lediglich das Stadt-Land-Gefälle aus, das den Vergleich des Stadtstaates mit dem Gros der anderen Bundesländer oft so unergiebig macht. Der zwischen Bremen und Bremerhaven ermittelte Unterschied in der Lebenserwartung ist hingegen wohl ernst zu nehmen: In der Seestadt stirbt Mann und Frau ein knappes Jahr früher. Insbesondere die „vorzeitige Sterblichkeit“ – definiert als Todesfall vor dem 65. Lebensjahr – weist in Bremerhaven eine deutlich höhere Rate auf.
Über jeden statistischen Zweifel erhaben ist die Abhängigkeit der Lebenserwartung vom Sozialstatus der Betroffenen. Diesbezüglich sprechen sowohl die beiden bisher erschienenen Landesgesundheitsberichte von 1992 und 1998 als auch die vor einem halben Jahr vom Bremer Gesundheitsamt publizierte Studie eine eindeutige Sprache. In Ortsteilen mit besonderen sozialen Problemlagen ist die Sterblichkeit wesentlich höher als in den besser gestellten Vierteln – je nach Todesursache betragen die Unterschiede bis zu mehr als das Doppelte. In den Großwohnanlagen in Tenever und der Neuen Vahr steigt speziell die Säuglingssterblichkeit seit Mitte der 90er Jahre wieder an, sie liegt um 100 Prozent über dem Bremer Durchschnitt. Und während ein in Schwachhausen geborener Junge mittlerweile eine Lebenserwartung von 77,9 Jahren hat, lebt sein Gröpelinger Alters- beziehungsweise Statistikgenosse fünfeinhalb Jahre weniger.