Bei Minusgraden krank auf der Straße

Nach zwei kalten Winternächten stirbt in Hamburg ein Obdachloser. Kein Tod durch Kälte, erklärt die Sozialbehörde, sondern wegen innerer Blutungen. Gerade die Kälte aber gibt den meist gesundheitlich geschwächten Wohnungslosen den Rest

VON KAIJA KUTTER

Ein Gutes schien es zu haben, dass der Januar mit Temperaturen, die deutlich zu mild waren für die Jahreszeit, die Natur verwirrte: Je wärmer es ist, desto weniger Gefahr besteht für die, die draußen über die Runden kommen müssen. Seit Montag herrscht nun doch noch so etwas wie Winter, und am Mittwoch wurde in einem Hinterhof in Hamburg-St. Pauli der erste tote Obdachlose aufgefunden.

Ein Politikum: Die für das Hilfesystem zuständige Sozialbehörde tat einmal mehr, was sie auch schon bei den drei toten Obdachlosen im vorigen Winter getan hatte: Sie wartete auf das Ergebnis der Obduktion. Es sei „kein Kältetoter“, konnte Behördensprecher Rico Schmidt gestern verkünden. Nach Angaben der Polizei verstarb der Mann „an inneren Blutungen“. Näheres wollte Sprecher Ralf Kunz gestern nicht sagen, „weil der Datenschutz auch für verstorbene gilt“.

„Natürlich heißt es wieder, dass er nicht an Kälte gestorben ist“, sagt die grüne Sozialpolitikerin Martina Gregersen. Das betone die Behörde jedesmal. Es sei aber die Kälte, die den ohnehin kranken Menschen „den Rest“ gebe, so Gregersen. Im Kältewinter 2006 etwa verstarb in Hamburg ein 40-Jähriger ohne festen Wohnsitz in seinem Zelt an einer Herzkrankheit, ein zweiter an einem Magengeschwür. Ein Dritter verbrannte, als sein Zelt durch einen Gaskocher Feuer fing.

In Hamburg müsse „kein Mensch erfrieren“, erklärte vor längerem Sozialsenatorin Birgit Schnieber-Jastram (CDU). Stets verweist sie darauf, dass neben den Dauerunterkünften für Wohnungslose jedes Jahr ein „Winternotprogramm“ mit 200 Plätzen aufgelegt wird für Menschen, die auf der Straße schlafen. „Wir sind gut aufgestellt“, sagte so gestern auch ihr Sprecher Rico Schmidt. „Es gibt keinen Anlass zur Korrektur.“

Doch der „Mitternachtsbus“, den das Diakonische Werk jede Nacht durch die Stadt schickt, um warme Getränke oder auch Schlafsäcke auszugeben, trifft auch bei den derzeitigen Temperaturen allabendlich auf 70 bis 80 Bedürftige. „Etwa die Hälfte schläft jetzt noch draußen“, sagt Projektleiterin Barbara Rieck. Und da immer wieder jemand einen Schlafsack für einen Kumpel mitnehme, dürften es wohl noch mehr Bedürftige sein. Viele scheuten die angebotenen Betten in Großunterkünften, weil dort das Klima aggressiv sei und sie „Angst haben, dass sie Haue kriegen“, sagt Rieck. Im Übrigen hätte der Tote von St. Pauli „ins Krankenhaus gehört“.

„Allein bei mir rund ums Büro liegen abends, wenn ich heimgehe, zehn Leute auf der Straße“, berichtet Martina Gregersen, die in der Hamburger City arbeitet. In anderen Stadtteilen werde das wohl nicht anders sein, mutmaßt sie. „Wenn man denen etwas zum Wärmen hinstellen würde, die würden das annehmen, und man könnte sie auch gesundheitlich versorgen.“ Ihren Haushaltsantrag zur Schaffung weiterer Wohncontainerplätze hat die Hamburgische Bürgerschaft gerade abgelehnt.

Dabei sei die städtische Sammelunterkunft an der Sportallee „auch schon an warmen Wintertagen“ ausgelastet gewesen, sagt Sozialarbeiter Stefan Karrenbauer von der Hamburger Obdachlosenzeitung Hinz & Kunzt. Hinzu komme, dass die Obdachlosen die Unterkunft jeden Morgen wieder verlassen und zurück zu ihren Plätzen müssen. „Das ist für viele Obdachlose eine Überforderung“, sagt Karrenbauer. Lediglich im ganzjährig geöffneten „Pik-As“ gebe es noch Plätze. Das allerdings sei nicht, „was die Menschen brauchen, um zur Ruhe zu kommen“.

„Manche sagen, ‚bevor ich ins ‚Pik As‘ gehe, sterbe ich lieber auf der Platte‘“, sagt die Ärtzin Frauke Ishorst-Witte, die dort Obdachlose versorgt. Die Mitarbeiter machten gute Arbeit, aber weil dort nunmal „jeder rein“ dürfe, gebe es für das Verhalten „keine Grenzen“.

Wie die grüne Rathaus-Opposition fordern auch die befragten Sozialarbeiter zusätzliche Wohncontainer. Nur dürften die eben nicht weit draußen eingerichtet werden, sonst würden sie nicht angenommen. Ärztin Ishorst-Witte fordert zudem mehr vorsorgenden Gesundheitsschutz: „Man stirbt nicht einfach so an inneren Blutungen“, sagt sie mit Blick auf den Toten vom Mittwoch. Da habe sich eine Krankheit „zugespitzt“. Ihre Patienten hätten oft „andere Dinge im Kopf“ und nicht gelernt, der Gesundheit Priorität einzuräumen. Auch erschwere die Gesundheitsreform die medizinische Hilfe: „Ich habe Patienten, die haben Lungenentzündung und können die Rezeptgebühr fürs Pennicilin nicht zahlen.“

Dass das Leben auf der Straße ungesund ist, hatte die Medizinerin bereits im Jahr 2001 belegt – anhand der Todesursachen der von 1990 bis 98 in Hamburg gestorbenen Obdachlosen. Ihr durchaus bitteres Fazit: Wohnungslose werden im Schnitt nur 45 Jahre alt. Eine Aktualisierung der Studie kam auf den kaum verbesserten Wert von 46 Jahren für die, die zwischen 1999 und 2004 verstarben. Der Tote vom vergangenen Mittwoch wurde 52 Jahre alt.