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Archiv-Artikel

Demo auf den Spuren der Deportierten

Seit mehr als zehn Jahren organisiert Artur Nähring die Antifa-Demonstration am 9. November mit. Von einem kleinen Kiezspaziergang ist sie zu einer festen Gedenkveranstaltung geworden, die an die Opfer der Reichspogromnacht erinnert

VON JÖRG MEYER

Artur Nähring ist ein eher bedächtiger Typ. Der 43-Jährige, durch und durch Antifaschist, erzählt ruhig und sachlich von dem Projekt, an dem er seit 16 oder 17 Jahren mitarbeitet. Ob seine erste Moabiter Antifa-Demonstration zum 9. November nun 1990 oder 1991 war, weiß Nähring nicht mehr genau.

Fest steht: Seit 1990 treffen sich jährlich Antifaschisten und Antifaschistinnen am Moabiter Mahnmal für die ermordeten Berliner Jüdinnen und Juden, um der Opfer der Reichspogromnacht am 9. November 1938 zu gedenken. „Anfang der 90er-Jahre war es mehr ein Kiezspaziergang mit dreißig Leuten“, erinnert sich Nähring. Danach seien es immer 300 bis 600 Demonstranten gewesen. Im „Antifa-Sommer“ 2000 waren es rund 2000.

Die Veranstaltung ist traditionell zweigeteilt. „Ab 17 Uhr gibt es eine Gedenkkundgebung, auf der ZeitzeugInnen reden und Musik gespielt wird. Danach geht eine antifaschistische Demo zum Mahnmal, dem ehemaligen Deportationsbahnhof in der Putlitzstraße“, erzählt Nähring. Gerade dort, wo am helllichten Tag Menschen durch die Straßen getrieben wurden, müsse man ein „Nie wieder Faschismus! Nie wieder Krieg!“ sehr laut zum Ausdruck bringen. Darum habe die Demo auch immer die gleiche Route: den Weg, auf dem die Menschen zum Bahnhof getrieben worden sind.

Der Demonstrationszug beginnt in der Levetzowstraße – dort, wo einst eine der größten Synagogen Berlins stand. Heute befindet sich an der Stelle der im Krieg schwer beschädigten und danach abgerissenen Synagoge ein Denkmal, das daran erinnert, dass ab 1941 die SS die Räume als Sammellager für Jüdinnen und Juden benutzte. Von hier aus wurden sie zunächst zum S-Bahnhof Grunewald gebracht und dann, ab 1942, durch die Moabiter Wohngebiete getrieben, zum Bahnhof Putlitzstraße. Von dort aus wurden sie in die Vernichtungslager verschleppt. „Mehr als Glotzen haben die Leute damals wohl nicht gemacht“, sagt Nähring. Umso wichtiger sei es heute, dort kämpferisch aufzutreten.

Nachdem mit dem Mauerfall 1989 der 9. November noch „eine dritte Bedeutung neben der Reichspogromnacht und der Revolution 1918“ bekommen habe, müsse man auch gegen das Vergessen arbeiten, meint der Antifa. Zumal gerade nach dem Mauerfall auch die rassistischen und antisemitischen Vorfälle zunahmen. Für Nähring war das damals ein Grund, der „Antifaschistischen Initiative Moabit“ beizutreten.

Der Kontakt zu ZeitzeugInnen war für Nähring immer sehr wichtig. „Der Charakter der Demo wird sich in den nächsten Jahren ändern. Die ZeitzeugInnen gibt es bald nicht mehr.“ Für Nähring muss es Aufgabe einer antifaschistischen Linken sein, der Sichtweise und den Erfahrungen der Überlebenden auch weiterhin Gehör zu verschaffen. „Auch für sie ist es ein Anliegen, zu sprechen.“ Auf der diesjährigen Veranstaltung wird Hellmut Stern als Zeitzeuge sprechen. Der ehemalige erste Geiger der Berliner Philharmoniker war mit seiner Familie als Zehnjähriger 1938 nach Schanghai geflüchtet.

Die Demo habe jedoch auch einen aktuellen Charakter, betont Nähring: „Die Überlebenden der Schoah haben immer auch das Recht auf ein Leben ohne Rassismus und ein Recht auf Asyl als Konsequenz aus ihren Erlebnissen gesehen.“ Für ihn ist es darum wichtig, dass auch immer antirassistische Gruppen an der Demo teilnehmen und einen Redebeitrag halten.