Auf Krücken in die Rente

15.000 Metaller im Norden protestierten mit Arbeitsniederlegungen gegen die Pläne der Bundesregierung, das Renteneintrittsalter auf 67 hochzusetzen. Unternehmer nennen die Kurzstreiks „verfehlt und illegal“

Die Proteste gegen die Rente mit 67 haben auch Norddeutschland erfasst. Mehr als 15.000 Beschäftigte haben sich gestern an Aktionen während der Arbeitszeit beteiligt. Die IG Metall hatte im Rahmen der Kampagne an der Küste die Beschäftigten von Metall- und Werftbetrieben zu Kurzstreiks aufgerufen, um die bundesweiten Aktionen der DaimlerChrysler-Belegschaften gegen die Rente mit 67 zu begleiten, an denen sich auch Mitarbeiter der Werke in Bremen und Hannover beteiligten.

Auch 6.500 VW-Beschäftigte in Emden legten die Arbeit kurzzeitig nieder. Aktionen gab es auch in Bremerhaven sowie bei Varta in Hannover. Heute sind Proteste an den niedersächsischen VW-Standorten geplant.

Obwohl sich die Aktionen nicht gegen die Unternehmer, sondern gegen Rentenpläne der Bundesregierung richten, wird der Begriff „politischer Streik“ von der IG Metall vermieden. Daher sind viele Aktionen als „demonstrative Akte“ deklariert worden, um von einem „Verfassungsrecht“ Gebrauch zu machen, das auch in der Arbeitszeit gelte. Tenor: Die Bundesrepublik sei keine Feierabend-Demokratie, in der nur nach Dienstschluss demonstriert werden dürfe. Der Metall-Verband Unterweser und Nordmetall bezeichneten die Aktionen zwar als „verfehlt und rechtswidrig“ und warfen der IG Metall vor, „illegale Streiks“ zu organisieren, kündigten aber keine ernsthaften Konsequenzen an. Wer die Arbeit niedergelegt habe, müsse höchstens mit Lohnabzügen rechnen.

In Mecklenburg-Vorpommern und in der schleswig-holsteinischen Unterelberegion waren auch kleinere Betriebe in die Aktionen einbezogen. So in Elmshorn und Itzehoe, wo sich 800 Beschäftigte zum Teil auf Gehhilfen versammelten. „Wir schleppen uns auf Krücken ins Rentenalter“, so das Motto. „Den Großvater bis 67 arbeiten lassen, seine Tochter kriegt nur noch eine Teilzeitstelle und das Enkelkind steht arbeitslos vor der Tür – das ist ein wirtschaftspolitischer Amoklauf und Irrweg“, kritisierte die Betriebsratsvorsitzende von Sterling SIHI, Carmen Lühr, auf der Itzehoer Kundgebung die Pläne.

Schon jetzt gehe nur jeder Fünfte aus sozialversicherter Arbeit in Rente, fast jeder Dritte scheide vorzeitig erkrankungsbedingt aus, sagte Lührs. Die Rentenpläne seien ein „riesiges Verliererprojekt“. Älteren drohe der Verlust von Gesundheit und Rentenansprüchen, Jüngere verlören ihre Jobperspektiven und die Rentenkassen damit Beitragszahler. KAI VON APPEN