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Archiv-Artikel

DIE MINDESTLOHN-DEBATTE WIRD MIT DEN FALSCHEN ARGUMENTEN GEFÜHRT Abwehrschlacht für Armutslöhne

Der Mindestlohn wird kommen, auch wenn sich die Union noch ziert. Denn der Staat wird von den Unternehmen ausgeplündert. Der Trick der Firmen: Sie zahlen nur noch niedrigste Stundenlöhne und erwarten, dass ihre Mitarbeiter ergänzendes Arbeitslosengeld II beantragen. Inzwischen erhalten schon 550.000 Arbeitnehmer staatliche Hilfen, obwohl sie regulär beschäftigt sind. Ein Jahr zuvor waren es erst 367.000. Diese Zahlen sind ein Zeichen der Krise – mitten im Boom. Ausgerechnet während eines Aufschwungs müssen immer mehr Menschen erleben, dass ihre Arbeit nicht zum Leben reicht, obwohl die Firmengewinne sprudeln. Da hilft nur noch ein Mindestlohn, der zumindest Hartz IV übersteigt.

Bemerkenswert ist allerdings die Rhetorik, mit der SPD-Arbeitsminister Müntefering das Thema Mindestlohn begleitet. Es wird eine Art nationale Abwehrschlacht inszeniert. In diesem Weltbild wehren sich die bedrängten Deutschen gegen billige Fremdarbeiter-Heere aus dem Osten, die spätestens ab 2011 volle Freizügigkeit in der EU genießen und die Grenzen überrollen. Dieser Deutschtümelei wird sich die Union nicht entziehen können, gehört doch übersteigerte Heimatliebe zu ihrem Markenzeichen.

Gemeinsam gegen einen äußeren Feind – so lassen sich die internen Verteilungskämpfe zwischen Beschäftigten und Unternehmern bestens verdecken. Raffiniert lenkt der rhetorische Kampf für die heimischen Standards davon ab, dass es den hiesigen Arbeitnehmern wenig nutzt, wenn der Mindestlohn nur als Waffe gegen osteuropäische Billigarbeiter verstanden wird. Dann würde es nämlich meist bei den bisherigen Dumpinglöhnen bleiben, die regional unterschiedlich irgendwo zwischen 3,50 und 8 Euro pro Stunde pendeln.

Die latente Fremdenfeindlichkeit wird geschickt genutzt, um das Naheliegende zu verhindern: mal in den Westen zu blicken statt starr gen Osten. In Frankreich oder Großbritannien sind monatliche Mindestlöhne von 1.200 Euro längst üblich, ohne dass die Wirtschaft leiden würde. Es wäre noch immer ein mieser Armutslohn. Aber wenigstens könnte man davon leben.

ULRIKE HERRMANN