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Archiv-Artikel

Ein untalentierter Mr. Ripley

Science-Fiction von Jakob Arjouni: „Chez Max“ ist eine mit viel Witz verfasste negative Utopie – auch für den Sonntagabend geeignet!

VON ANDREAS FANIZADEH

Jakob Arjouni hat – knapp 20 Jahre ist das auch schon wieder her! – in den 1980er-Jahren einen ebenso unterhaltsamen wie untypischen Helden geschaffen. Sein Privatdetektiv Kemal Kayankaya ermittelte im Großraum Frankfurt am Main und bot vielleicht das Beste, was die damalige deutsche Krimifiktion zu bieten hatte: Humor, Schlagfertigkeit und lange vor Bundes-Multikulti und Rot-Grün zeitgemäße Besetzung und Stoff. Dann kam die deutsche Einheit und mit ihr die Unwägbarkeit des neuen deutschen Nationalismus. Das Ende des östlichen Staatskommunismus bedeutete auch eine umfassende Ethnisierung des Sozialen. Im Kulturellen reüssierten thematisch Autoren wie Feridun Zaimoglu, die zuerst als Ausländer und dann als Literaten gelesen werden. Das sind wohl keine guten Zeiten für einen Arjouni als Polizeipräsidenten und Kayankaya als seinen wichtigsten Ermittler.

So wurde auch Arjounis Romanpersonal mit den Jahren „deutscher“, wurden die Helden wie im Roman „Magic Hoffmann“ tragischer. Noch einmal ließ Arjouni 2001 den sympathischen Außenseiter Kayankaya in dem Kriminalroman „Kismet“ auferstehen. Doch scheint dem Autor mit Verschwinden der alten Bundesrepublik auch der Bezugsrahmen für diese Figur dauerhaft abhandengekommen zu sein. Arjouni ist ein zutiefst westdeutscher Autor geblieben, der, wie Peter Handke auf seine und andere Weise, skeptisch und distanziert aus dem französischen Exil die Vorgänge im deutschsprachigen Großraum verfolgt. Zuletzt veröffentlichte Arjouni einen in Deutschland spielenden Lehrerroman („Hausaufgaben“) und unternahm einen Ausflug in die Welt der Märchen für Erwachsene. „Idioten. Fünf Märchen“ war literarisch gesehen ein Befreiungsschlag und bescherte darüber hinaus Verlag und Autor hübsche Umsätze.

Auf die Märchen folgt nun mit „Chez Max“ die Science-Fiction, eine unaufgeregt und humorvoll angelegte negative Utopie. Im Jahre 2064 betreibt Max Schwarzwald das Gourmetrestaurant „Chez Max – cuisine allemande“ im wohlgeordneten elften Pariser Arrondissement. Er lässt Fischsuppe Günter oder Hirschbraten servieren, während er seine Gäste belauscht. Im Ohr trägt er einen Übersetzerknopf, am Leib ein mikroskopisches Aufnahmegerät, und aus der Augenlinse schießt er unbemerkt gestochen scharfe Aufnahmen. Max ist ein Ashcroft-Mann. Das sind in dieser Arjouni-Welt Mitarbeiter eines imperialen Weltgeheimdienstes. Sie sind dafür zuständig, dass in der eurochinesischen Konföderation – die USA sind auf das Niveau eines hochverschuldeten Agrar- und Tourismusanbieters herabgesunken – Verbrechen präventiv bekämpft werden. Es gibt die Welt vor und hinter dem Zaun. Ashcroft-Männer haben potenzielle Zigarettenschmuggler oder Islamisten-Terroristen vor Begehung einer Straftat unschädlich zu machen.

Arjounis Hauptfigur Max Schwarzwald steht auf der richtigen Seite des Lebens, so scheint es. Das Restaurant ist sein Lebenstraum, und als Ashcroft-Mann wird er immer zu den Gewinnern gehören: gesichertes Einkommen, respektables Ansehen und der Zugang zu Macht sind garantiert. Doch in ihm schlummert auch etwas von einem untalentierten Mr. Ripley, einem Gegenstück zu Patricia Highsmith’ berühmter und kühler Figur. Mr. Ripley Schwarzwald wird als Kontrollfreak selber zum einsamen Getriebenen und Gehetzten, ohne sich dessen bewusst zu sein. Selbstbild und Wirklichkeit des Max Schwarzwald lässt Arjouni – pointiert und raffiniert erzählt – im Laufe der Begebenheit immer weiter auseinanderklaffen. Endlich befindet sich der Agent selbst im Zentrum der mörderischen Verschwörung. Die Axt auf dem Titelcover ist gut gewählt.

Der Kriminalist als Krimineller, auch das ein klassisches Motiv, das der Autor hier geschickt neu variiert. Arjouni, der jugendliche Kayankaya-Erfinder, hat sich auch mit nun Anfang vierzig seinen charmant-kindlichen Humor der Anfangstage bewahrt. Er ist der Spezialist für Situationskomik, der wie aus dem Nichts treffsichere Beschreibungen und Dialoge entwerfen kann. Wo andere Autoren ganze Kapitel herausschinden, da genügt ihm ein lapidar hingeworfener Satz. Nur wenige können so wie er im Deutschsprachigen das Weltgeschehen in Alltagshandlungen übersetzen, ohne dass es trivial oder altbacken klänge. „Che Max“ ist so auch als Hörbuch – von Arjouni selbst gelesen – sehr zu empfehlen. Die vier CDs sind eine gute Alternative für einen Sonntagabend, wenn wieder mal ein „Tatort“ nicht hergibt, was er verspricht.

„Chez Max“ ist in vielem schlüssig erzählt und klingt angesichts des jetzigen Zustands der Welt kaum übertrieben. Dennoch schwebt über der ein oder anderen Konstruktion des Romans ein kleines Fragezeichen. Die einleitenden erklärenden politischen Exkurse zu „Ashcroft“ hätten es kürzer auch getan. Unverständlich, warum Autor und Lektorat nicht durchweg der am Handlungsstrang orientierten Erzählkunst vertrauten. Und im Gegenzug hätte das weibliche Personal durchaus stärker in Erscheinung treten dürfen. Es ist ja auch in der Gedankenwelt der männlichen Protagonisten allgegenwärtig, und Geschlechtlichkeit trägt nicht unerheblich zu Arjounis Sprachwitz bei. Nun, Arjouni hat noch nie vorgegeben, ein „Frauenversteherschriftsteller“ zu sein. Mit „Chez Max“ ist ihm jedenfalls eine kurzweilige Parodie auf den „Krieg gegen Terror“ und ein sich darin verzettelndes Individuum gelungen, nebenbei: eine ausgezeichnete Vorlage für den aktuellen Film- und Theaterbetrieb!

Jakob Arjouni: „Chez Max“. Diogenes Verlag, Zürich 2006, 222 Seiten, 18,90 Euro