: Kein Umdenken in Moskau
DIPLOMATIE Präsident Putin schweigt zur Lage in der Ostukraine nach dem Flugzeugabsturz und schickt seine zweite Garde vor. Zugleich setzt er auf Risse in der EU. Diese fordert freien Zugang zum Unglücksort und warnt Russland vor Konsequenzen
MOSKAU taz | Um Präsident Wladimir Putin ist es seit dem Abschuss der malaysischen Passagiermaschine ruhig geworden. Der Kremlchef hat sich seit Freitag nicht mehr in der Öffentlichkeit gezeigt. Die Welt erwartet von Putin jedoch, dass er seine Macht auch bei den prorussischen Söldnern in Donezk geltend macht und Anweisungen erteilt. Allein die Pietät gebietet dem orthodoxen Christen Putin, die Arbeiten der Ermittler an der Abschussstelle nicht auch noch boykottieren zu lassen.
Der Kremlchef schweigt indes und schickte am Wochenende die zweite Garde an die Informationsfront. Vizeverteidigungsminister Anatoli Antonow forderte im russischen TV-Sender Rossija 24 die Kiewer Regierung auf, umgehend zu klären, was am Himmel über der Ukraine an jenem Nachmittag geschehen sei. Die zehn Fragen des Stellvertreters griffen auch geläufige Verschwörungstheorien über die Katastrophe auf. Je erdrückender die Indizien, desto dreister werden die Ablenkungsmanöver.
Nach einem Telefonat zwischen Sergei Lawrow und seinem US-Kollegen John Kerry teilten beide Außenminister in einer gemeinsamen Erklärung am Samstagabend mit, dass sie ihren Einfluss auf die Konfliktparteien nutzen wollten, um „die Kämpfe zu stoppen“ und Verhandlungen voranzutreiben. Im Klartext: Ein Umdenken hat in Moskau nicht stattgefunden. Die Annahme, Putin könne die Tragödie nutzen, um den Schulterschluss mit dem Söldnerhaufen aufzukündigen und so sein Gesicht wahren, war sehr optimistisch. Hätten die Rebellen auf einen Befehl Putins die Störmanöver eingestellt, wäre das ein Beweis für Moskaus bestrittene Mittäterschaft gewesen. Vielleicht widersetzen sich die Horden jedoch einer Order aus Moskau? Putin müsste dann seine Ohnmacht gegenüber den Geistern eingestehen, die er rief. Auch das wäre undenkbar. Der Präsident wird stattdessen vorgehen wie immer. Abwarten, die Risse in der EU analysieren und diese dann zielgenau zu seinen Gunsten nutzen. Putin setzt darauf, dass die gutwilligen Sozialhelfer in Berlin die Wogen für ihn auch weiterhin glätten.
Währenddessen sorgt er dafür, dass die Beweise einer russischen Beteiligung aus den Trümmern vor Donezk verschwinden. Nur die sind entscheidend. Denn wer glaubt Aufnahmen der CIA oder Beweisen der „faschistischen Junta“ in der Ukraine noch, nach all dem, was in letzter Zeit passiert ist? Die russische Propaganda feilt gerade an dieser Aufgabe. Wenn Putin geschickt ist, gelingt ihm noch ein doppelter Coup, der erst für die fernere Zukunft geplant war: die EU auseinanderzudividieren. Wie lange sollen die Niederländer, Briten oder Polen die Russlandseligkeit der Deutschen noch ertragen?
Doch zunächst forderten Deutschland, Frankreich und Großbritannien Russland zu mehr Druck auf die Separatisten in der Ostukraine auf. Putin müsse seinen Einfluss auf die Aufständischen geltend machen, damit Ermittler vollständigen Zugang zum Absturzgebiet des Flugzeugs bekämen. Andernfalls, so Frankreichs Präsident François Hollande, würden die EU-Außenminister bei ihrem Treffen am Dienstag Konsequenzen ziehen. KLAUS-HELGE DONATH
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