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Archiv-Artikel

Big Daddys Käfig

Geht die Kritik des bürgerlichen Lebens nur noch als Karikatur? Das scheint so in Thomas Ostermeiers Regie der „Katze auf dem heißen Blechdach“ an der Schaubühne Berlin

Big Mamas schwarzschillernde Matronenrobe stellt sie sofort als asexuelle Spießerin aus und gibt Big Daddys Verachtung recht

Es fängt gut an: Fünf Kinder, die genauso furchterregend aussehen, wie sie von professionellen Kinderhassern immer geschildert werden, sitzen lächerlich herausgeputzt in weißen Prinzessinnenkleidern und schwarzen Sonntagsanzügen auf einem Sofa und krakeelen ein Geburtstagslied. Wer die Geschichte von der „Katze auf dem heißen Blechdach“ kennt, weiß, dass das zentrale Ereignis des Stücks der fünfundsechzigste Geburtstag eines todkranken Patriarchen ist. Die Familie hat sich zum Showdown versammelt. Die grässlichen Kinder wirken wie die Vorboten eines familiären Schlachtengemäldes.

Das Ambiente lässt auf gehobene Einkommensverhältnisse schließen: viel Glas und Chrom, breite Sofas, weiter hinten ein Pool. Bald wird sich daraus splitternackt der Großvater (Sepp Bierbichler) erheben, ein Massiv von Mann und autoritäres Ekelpaket. Mit lässiger Rücksichtslosigkeit macht dieser „Big Daddy“ jeden fertig, der ihm auch nur im Ansatz Gefühle entgegenbringt – seine Frau (Kirsten Dene), Sohn Gooper (Christoph Gareisen) oder dessen dauerschwangere Gattin Mae (Bettina Hoppe). Aber da sind wir schon mitten drin in der emotionalen Gemengelage von Tennessee Williams’ schwülem Familiendrama, das Thomas Ostermeier jetzt an der Berliner Schaubühne aus den verklemmten Fünfzigern in ein unscharfes Heute verlegt hat.

Der fast schon obligatorische Glascontainer des Bühnenbildners Jan Pappelbaum hat diesmal eine zweite Etage: ein riesiger Käfig, in dem auf einem toten Ast ein lebender Raubvogel sitzt. Ab und zu stößt er krächzende Schreie aus. Doch meist sitzt er stoisch da und wird noch nicht mal von Sebastien Dupoueys Videoprojektionen erschreckt: von wimmelnden Würmern, die sich möglicherweise an einem Kadaver zu schaffen machen oder schemenhaft vorbeirasenden Rennwagen. Das sind abstrakte Bilder für die Triebe, Sehnsüchte und Ängste, von denen Tennessee Williams’ Figuren umgetrieben werden. Wie kaum ein Dramatiker des 20. Jahrhunderts hat er die dunklen Seiten der Gier nach Leben und die panische Todesangst ausgeleuchtet, mit der sich die Menschen an Geld und Güter klammern.

Doch die vom Anfangsbild versprochene Reise in die Abgründe solcher Befindlichkeit entpuppt sich leider bald als oberflächliches Vergnügen. Denn Ostermeier hält sich nicht mit subtilen Beobachtungen auf, sondern wirft nur einen sehr flüchtigen und verächtlichen Blick auf das, was er für das bürgerliche Leben hält. Schon die Kostüme von Ulrike Gutbrod ergreifen Partei. Big Mamas schwarzschillernde Matronenrobe stellt sie sofort als asexuelle Spießerin aus und gibt damit der machistischen Gier des sie verachtenden Big Daddy recht, der lieber anderen Frauen an die Wäsche geht. Der sexuell vernachlässigten Schwiegertochter Margret zum Beispiel, die entsprechend sexy auf Stöckelschuhen vorgestellt wird.

Und während man sich noch fragt, ob Ostermeier es wohl ernst meint, uns einen gefangen Raubvogel als Metapher für die ins Korsett bürgerlicher Bigotterie gesperrte Seele von Big Daddy vorzusetzen, den er irgendwie ja auch gerne als Patriarchen entlarven will, drängt sich bald eine noch ganz andere Frage auf: Ist das hier überhaupt noch Ostermeier oder schon Loriot? Wobei man sich für diesen Vergleich bei Loriot eigentlich entschuldigen muss, dessen Studien am bürgerlichen Individuum nämlich ungleich subtiler sind. Erst hofft man noch, hier wird verfremdet, wenn sich Sepp Bierbichler als Big Daddy stöhnend unter plötzlichen Krebsattacken windet, Bettina Hoppe mit notorisch verhärmter Miene ihr schwangeres Bäuchlein hält und Mark Waschke als alkoholkranker Brick permanent über sein Gipsbein stolpert. Doch spätestens, wenn Kirsten Dene Haare raufend und heulend von der Bühne stürzt, weil Big Daddy seinen nächsten Geburtstag nicht mehr erleben wird, gelangt man bedrückt zu der Erkenntnis, dass dies alles ernst gemeint sein muss.

Ganz aus dem Blick gerät am Ende die fatale Ehegeschichte von Margaret und Brick, aus der das Stück im Allgemeinen seinen Saft bezieht. Sie in die Gegenwart zu transportieren, hätte heute auch einige Überlegungen mehr verlangt. Denn es versteht sich heute nicht mehr von selbst, dass einer zum Trinker wird, bloß weil man ihn verdächtigt, homosexuell zu sein, und er das Objekt seiner uneingestandenen Begierde womöglich auch noch in den Tod getrieben hat. Eine offene Frage, an der die Glaubwürdigkeit der restlichen Geschichte schon ins Wanken gerät, bevor ihr Ostermeiers Regie den restlichen Schneid abkauft.

ESTHER SLEVOGT