: Ein Akt des Terrors oder nur Krieg?
DEFINITION Viele Politiker werten den mutmaßlichen Flugzeugabschuss als Terror. Diese Einstufung ist umstritten, aber bedeutend für Entschädigungen
BERLIN taz | Die ukrainische Regierung, die kanadische Regierung, einflussreiche Politiker des US-Kongresses und der litauische Premierminister – sie alle haben den mutmaßlichen Abschuss der Maschine des Flugs MH17 als einen „Akt des Terrors“ verurteilt. Auch in journalistischen Kommentaren war davon die Rede, der Abschuss sei, „der schwerste einzelne Terrorakt der jüngeren europäischen Geschichte.“
Doch ob das zutrifft, ist zumindest umstritten. Bis heute gibt es keine juristisch einwandfreie Definition dessen, was unter „Terrorismus“ zu verstehen ist. 2004 verabschiedete der UN-Sicherheitsrat seine Resolution 1566, die seither als Referenzrahmen gilt. Darin werden als Terrorismus definiert: „Straftaten, namentlich auch gegen Zivilpersonen, die mit der Absicht begangen werden, den Tod oder schwere Körperverletzungen zu verursachen, oder Geiselnahmen, die mit dem Ziel begangen werden, die ganze Bevölkerung, eine Gruppe von Personen oder einzelne Personen in Angst und Schrecken zu versetzen, eine Bevölkerung einzuschüchtern oder eine Regierung oder eine internationale Organisation zu einem Tun oder Unterlassen zu nötigen.“
Auch in der Terrorismusdefinition des FBI heißt es, Terrorismus sei es, „wenn offensichtlich beabsichtigt ist, eine Zivilbevölkerung einzuschüchtern oder zu nötigen, die Politik einer Regierung durch Einschüchterung oder Nötigung zu beeinflussen oder die Regierungsführung durch Massenvernichtung, Mord oder Kidnapping zu beeinträchtigen.“
Beiden Definitionen gemein ist, dass die Tat absichtsvoll begangen worden sein muss, damit der Terrorbegriff greift. Im Fall der mutmaßlich abgeschossenen Zivilmaschine deuten die bisherigen Erkenntnisse eher auf ein Versehen hin: eine Verwechselung mit einer militärischen Transportmaschine.
Australiens Premier Tony Abbott bestätigte, seine Regierung denke darüber nach, den Absturz offiziell als „Terrorakt“ einzustufen. Das hätte zunächst vor allem die Konsequenz, dass die Angehörigen der 37 australischen Opfer von Flug MH17 bis zu 75.000 Dollar pro Person aus dem staatlichen Hilfsfonds für Terroropfer erhalten könnten.
Aber, sagt Gary Bouma, Direktor des Global Terrorism Research Centre an der Monash University in Australien, bei diesem Absturz könne von einem Terroranschlag nicht die Rede sein. Die Maschine „war nicht, wofür sie sie hielten, damit ist es kein Terrorismus“, sagt Bouma.
Wenn der Abschuss kein Terroranschlag ist, wie können dann die Täter zur Rechenschaft gezogen werden? Wer Waffen einsetzt, ist dafür verantwortlich, welche Wirkung sie entfalten. Die Angehörigen der Opfer haben Anspruch auf Entschädigung. Und je nachdem, ob ein Gericht die Situation in der Ukraine als Krieg im völkerrechtlichen Sinne einstufen würde, könnten die Verantwortlichen der fahrlässigen Tötung oder eines Kriegsverbrechens angeklagt werden.
Wenn man sich allerdings vergegenwärtigt, wie etwa die US-Regierung mit den Vorwürfen umgeht, im Irak- oder Afghanistankrieg und im ausgeweiteten Drohnenkrieg in Pakistan, Jemen und Somalia immer und immer wieder den Tod von Zivilisten in Kauf zu nehmen, dann scheinen die Perspektiven der Täter vom vergangenen Donnerstag durchaus rosig. Die US-Regierung zahlt gelegentlich den Angehörigen der Opfer eine geringe Entschädigung, die für den Einsatz Verantwortlichen jedoch werden in der Regel nicht belangt.
Und als Nato-Kampfflugzeuge 2008 auf deutschen Befehl hin in Afghanistan von Taliban gekaperte Tanklaster bombardierten und dabei 142 Zivilisten getötet oder verletzt wurden, wurden alle Strafverfahren in dem Zusammenhang eingestellt, relevante Entschädigungen wurden nicht gezahlt. BERND PICKERT