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Archiv-Artikel

Mehr als eine Backgroundsängerin

HIPHOP Die kolumbianische Musikerin Lucia Vargas will eine Alternative zu Gewalt und Bürgerkrieg sein

Ein Sound aus kräftigen, mittelschnellen Beats und Samples aus klassischer Musik oder indigenem Folk

VON DARIUS OSSAMI

Diese Frau ist ein Energiebündel und mit einer großen Portion Selbstbewusstsein ausgestattet: Lucia Vargas kommt aus der kolumbianischen Hauptstadt Bogotá und hat mit 13 Jahren begonnen, HipHop zu machen. Ihre blauen Augen sind fest auf den Gast gerichtet, und ihr Spanisch ist geprägt vom Slang der Straßen Bogotás. Die 25-Jährige rappt so schnell, wie sie spricht. Und sie hat viel zu erzählen: über die Ungerechtigkeiten in ihrem Land, die sie in ihren Liedern thematisiert und die sie mit ihrer sozialen Arbeit zu bekämpfen versucht.

Gerade hat sie bei „Sur del Cielo“ ihr Debütalbum „La Esencia Viva“ mit zehn Tracks herausgebracht, die vom alternativen kolumbianischen Label Difusión Music vertrieben wird. HipHop war für sie immer schon mehr als nur Musik: „Meine Texte sind eigentlich mein Blick auf die Wirklichkeit. Sie sind der Raum, den ich habe, um mich wirklich frei zu fühlen. Musik ist für mich Freiheit. Und das, was ich sage und was ich schreibe, ist das, was mich in den drei Minuten eines Stücks zu einem freien Menschen macht.“ Vargas’ HipHop-Sound ist geprägt von kräftigen, mittelschnellen Beats und Samples aus klassischer Musik oder indigenem Folk, sowie Texten mit einer starken politischen Aussage – nicht zu fünfzig Prozent Musik und zu fünfzig Prozent Politik, sondern „beides zu hundert Prozent“, wie Lucia Vargas sagt. Da ist es nicht verwunderlich, dass sie zu ihren musikalischen Vorbildern Public Enemy oder den Wu-Tang Clan zählt, aber auch die Franzosen NTM und die kolumbianische Metalband Resplandor.

Eigenständiger HipHop

Kolumbien ist geprägt von Gewalt und Krieg, der seit Jahrzehnten zwischen der Armee, Guerillaorganisationen und paramilitärischen Verbänden ausgefochten wird. Lucia sieht im HipHop einen Ausweg für die Jugendlichen aus diesem Kreislauf. „Anstatt in den Krieg zu ziehen“, sagt sie, „machen wir jetzt Kunst, vor allem HipHop.“ Die Jugendlichen seien überzeugt davon, dass Veränderungen in Kolumbien nötig sind. Und diese würden durch Kunst und, wie bei Lucia, durch HipHop ermöglicht.

Im kolumbianischen HipHop lassen sich zwei Richtungen ausmachen. Es gibt Künstler, die kommerzieller sind und deren Texte weniger Tiefgang haben. Und es gibt Gruppen, die systemkritischer und politisch radikaler sind. Eine Spaltung kann Lucia da aber nicht erkennen: „Beide Strömungen sind Alternativen zum Krieg in Kolumbien. Allgemein ist HipHop eine Alternative in Kolumbien, es ist eine soziale Bewegung, und sie hat viel bewegt.“

Anfang der 80er Jahre brachten US-amerikanische HipHop-Acts wie NWA oder MC Hammer den Rap in die marginalisierten Viertel der urbanen Zentren wie Medellín, Cali und Bogotá. Erst Anfang der 90er Jahre bildete sich ein eigener Stil heraus, der von Beginn an eine starke sozialkritische Ausprägung hatte und sich vor allem gegen den Krieg richtete. Gruppen wie La Etnia und Gotas de Rap prangerten in drastischen Worten Gewalt, Ungleichheit und Korruption an.

„Es gab schon immer diesen sozialen Kontext, aber inzwischen wird das stärker betont“, so Vargas, die schon seit dreizehn Jahren Musik macht: „Wir Rapper haben uns weiterentwickelt, sowohl textlich als auch musikalisch. Kolumbianischer HipHop ist inzwischen etwas Eigenständiges geworden.“ Die Grundstruktur der Songs ist meist immer noch HipHop US-amerikanischer Prägung, wird aber mit Samples mit Streichern und Bläsern ergänzt sowie mit Tango oder alten kolumbianischen Schlagern.

Zusammen mit DJ Criminal hat Lucia Vargas die Stadtteilinitiative Sur del Cielo gegründet. Sur del Cielo kümmert sich um Jugendliche und versucht, ihnen Alternativen zum Kreislauf aus Drogen, Gewalt und Krieg zu zeigen. „Direkte Aktionen“ nennen sie das, zum Schutz der Menschenrechte und der Umwelt. Zum Beispiel haben Sur del Cielo zusammen mit Jugendlichen aus der Nachbarschaft und Punks ein Flussbett von Müll gereinigt und einen kleinen Garten angelegt. Sie haben sich auch an den Kundgebungen zum 1. Mai 2010 beteiligt und gefordert, dass die Kunst als Ausdrucksform respektiert werden soll.

Rechte paramilitärische Gruppen haben schon mehrmals Drohbriefe an HipHopper wie Lucia Vargas verschickt. Die sonst so gesprächige Lucia wird einsilbig, wenn man sie danach fragt. Trotzdem ist sie optimistisch. Sie glaubt, dass die Jugend in Kolumbien den Krieg nicht mehr will und die Alternative lieber in Bildung und Kultur sucht.

Auch in Kolumbien gilt HipHop als Machokultur, wo die Frauen Bikinis tragen oder lediglich als Freundinnen der Rapper fungieren. „Aber wir Frauen sind mehr als Backgroundsängerinnen“, so Vargas. „Wir haben viel mehr drauf, unser Leben ist ein einziger Kampf.“

■  Lucia Vargas: „La Esencia Viva“ (Difusión Music)