: Poesie der Einsamkeit
Die Welt ist so absurd wie ein Zimmer ohne Tür: Rosamund Gilmore inszeniert Sidney Corbetts Kammeroper „Keine Stille außer der des Windes“ als Theater der ruhigen Gesten. Aus ungemütlicher Musik und wundersamen Texten Fernando Pessoas gelingt da ein Abend der stillen Faszination
VON Frieder Reininghaus
Aus dem gackernden Hacken einer alten Reiseschreibmaschine entwickelt sich zu einer polyphonen Musik ein poetischer Theaterabend. Die unregelmäßigen Repetitionen auf der Folie eines leisen Windhauchs animieren ein Buch, aus dem letzten tiefen Dunkel vor dem Anbruch der Dämmerung mit Gesang anzuheben, dass all Morgen auch der Glaube frisch und neu und nicht mehr der vom Vortag sei. Da wird, unüberhörbar, Existentielles anvisiert.
Grundlage einer neuen Kammeroper des amerikanischen Komponisten Sidney Corbett, die in der Bremer Concordia vorgestellt wurde, ist eine Kompilation von Texten des Lyrikers Fernando Pessoa (1888–1935). Die in Berlin lebende brasilianische Autorin Simone Homem de Mello arrangierte sie, ausgehend von dessen „Buch der Unruhe“, einem introvertierten, weithin melancholischen Monolog. Dabei trug sie dem Umstand Rechnung, dass Pessoa, der auch als Handelskorrespondent, Literaturkritiker und Essayist tätig war, beständig neue Personen entwickelte, die autobiographische Züge tragen – wie den Hilfsbuchhalter Bernardo Soares, dessen Stimme und Haltung in Kontrast zu anderen mehr oder minder merkwürdigen Gestalten treten. Auf den verschlungenen Pfaden, die das Denken des großen portugiesischen Autors beschritt, wurden auch die unterschiedlichen Dichternamen erschaffen und genutzt: Pessoa stattete seine Heteronyme Alberto Caeiro, Álvaro de Campos oder Ricardo Reis mit jeweils eigenen Biographien und literarischen Stilen aus, trieb mit ihnen ein Verwirrspiel. Schon von daher muss ein Libretto, das sich auf solche geheimbündlerischen Zusammenhänge stützt, bis zum Ende Momente des rätselhaften bewahren.
Die Librettistin und ihr Komponist packten die literarischen Splitter in einen hermetisch geschlossenen Raum – und in einen Tageskreislauf, dem sich sechs beziehungsweise sieben Figuren zu stellen haben: Neben dem Buch, das auch die Partie seines Schreibers bestreitet, agiert der Hilfsbuchhalter, ein Beobachter, ein Reisender, die Braut und der markante Zwitter. Carl Friedrich Oberle stattete Eva Gilhofer und Matthias Koch aufs Anschaulichste aus: Ihre jeweils halbierten Kostüme ergeben zusammen jene eines Hochzeitspaares – und dabei wird gesungen, dass jeder der beiden sich selbst genüge.
Der Raum, den Rosamund Gilmore ohne aufdringliche Regieeinfälle bespielt, wird nur strukturiert durch einen Schreibtisch auf der rechten Seite und einen langgezogenen Esstisch, der von links in die Mitte und dann wieder an den Rand geschoben wird. Nach oben, in den höheren Luftraum, der voll beschriebener Blätter hängt, führen drei Leitern – hinaus nur eine Tür, die nicht für Auf- und Abtritte genutzt wird. So bleibt das erweiterte Solisten-Sextett für sich.
Christian Günther sorgt umsichtig für eine klar strukturierte Umsetzung der Partitur: Klavier und diskret eingesetztes Schlagzeug entfalten zusammen mit Streichquartett und Bläserquintett ein Klang-Kontinuum, das sich weithin aus gegen einander abgesetzten Tönen konstituiert; aus dem Fortspinnen der stockenden, immer wieder in kurze heftige Bewegung geratenden Impulse der Schreibmaschine. Größere Dichte entsteht durch Schichtung der Stimmen und raschere Abfolge der Tonimpulse im gleichbleibend ruhigen Gedanken- und Musik-Fluss. Wenn es wieder Nacht wird, wird es ruhig nicht nur rings um die singenden und rezitierenden Protagonisten, sondern auch in ihnen. Gilmore zeigt, wie sie sich zu ihren Abschiedsgesängen auf fast rituelle Weise entkleiden.
Fernando Pessoas Poesie der Einsamkeit zeitigte eine windige Musik, Zugig und ungemütlich. Mithin dem surrealistischen Sujet und den wundersamen Texten angemessen, wie auch bestens geeignet für ein Theater der ruhigen Gesten, aus dem sich Jörn Schümanns distinguierte Buch-Stimme ebenso hervorhebt wie der kräftige Beobachter-Tenor von Benjamin Bruns und die schönen Sopranstimmen von Nadine Lehner als Braut. Ihr Zusammen- und Wechselspiel, das beziehungslose Nebeneinander der vertrackt schwer zu singenden Partien, bringt einen Theaterabend der stillen Faszination zu Wege.
Intendant Klaus Pierwoß hat in einem guten Dutzend Jahren in Bremen auch für eine Reihe bemerkenswerter Uraufführungen gesorgt. Nun, zum Ende der langen Amtszeit, ein zweites Werk von Sidney Corbett, von dem das Bremer Theater bereits 2001 „Noah“ präsentierte. Zu den Highlights des damals Neuen gehörten zwei Opern von Johannes Kalitzke – „Molière oder Die Henker der Komödianten“ und „Inferno“ –, zwei neue Werke von Giorgio Battistelli sowie Detlev Glanerts „Joseph Süß“ (nach dem Roman von Lion Feuchtwanger, 1999), ebenfalls im Großen Haus am Goetheplatz. Bereits 1995 präsentierte Pierwoß „Drei Wasserspiele“ von Glanert in der „Concordia“, der von Schließung bedrohten Nebenspielstätte, in der einst Rainer Werner Fassbinder legendäre Produktionen zu Wege brachte. Pierwoß hat, mehr als die meisten seiner Intendanten-Kollegen an deutschen Stadt- und Staatstheatern, einer sehr klar auf hochkarätige Literatur orientierten neuen Oper eine breite Schneise eröffnet.
nächste Vorstellungen: 3., 9. und 15. Februar, jeweils 20 Uhr