piwik no script img

Archiv-Artikel

Die Revolution mit dem offenen Ende

Berlin schafft als erstes Bundesland den Ladenschluss ab. Beschränkungen nur noch am Sonntag. Schon im Dezember soll es losgehen. Doch der 24-Stunden-Verkauf bleibt die Ausnahme. Begeisterung bei Händlern und Kunden hält sich in Grenzen

Kosten fressen Umsatz auf

Andreas Laubig, Edeka-Sprecher für die knapp 170 Berliner Filialen der Konzernmarken Aktiv Markt, Neukauf, Spar und Reichelt: „Ich begrüße die Freigabe der Ladenschlusszeiten. Das führt aber nicht automatisch zu einer Ausweitung der Öffnungszeiten unserer Märkte. Jede Einzelfiliale wird von uns dahingehend geprüft, ob sich eine Ausweitung der Öffnungszeiten überhaupt lohnt. Während der Fußball-WM hatten wir in elf Reichelt-Märkten die Öffnungszeiten in den Abend und auf das Wochenende ausgedehnt und damit sehr gute Erfahrungen gemacht. Aber das war ein Ausnahmezustand, die Leute waren euphorisch und kauffreudig – repräsentativ war das aber sicherlich nicht.

Schon die Verlängerung der Samstagsöffnungszeiten auf 18 beziehungsweise 20 Uhr war für uns nicht durchweg positiv. Kurz vor Ladenschluss ist zwar oft richtig viel los – aber davor gibt es tote Zeiträume. Und selbst wenn es bisweilen ein Umsatzplus gibt, wird der Gewinn nicht selten durch die erhöhten Personalkosten aufgefressen.

Die Einführung von 24-Stunden-Märkten wäre für Edeka eine Herausforderung. Denn eine Personalreduzierung in den umsatzschwachen Zeiten kommt innerhalb des bisherigen Konzepts kaum in Frage. Unser Service – etwa an den Verkaufstheken – ist ja gerade ein profilbildender Vorzug gegenüber Discountern.“

MWA

Kunden ohne Verständnis

Sulaf Achmed, 27, Inhaber von zwei Bolle-Märkten: „Mein Bruder und ich sind Inhaber von zwei Bolle-Supermarkt-Filialen in Berlin. Der eine Laden befindet sich in Rudow, der andere in der Potsdamer Straße in Schöneberg.

Das neue Ladenschlussgesetz hin oder her: Den Laden in Rudow werden wir auf keinen Fall länger als bis 20 Uhr aufmachen. Das lohnt sich am Stadtrand nicht. Das Geschäft nimmt schon jetzt um 19 Uhr spürbar ab.

In der City ist abends natürlich mehr los. Aber länger als bis 21 Uhr wollen wir in der Potsdamer Straße möglichst nicht dranhängen. Und das auch nur im Sommer. Ob es so oder anders kommt, hängt von den Geschäften in unserem Umfeld ab. Wenn Rossmann, Woolworth und Kaiser’s bis 22 Uhr aufmachen, können wir nicht ausscheren.

Für unsere Beschäftigten ist das ganz schön traurig. Die meisten haben Familie. Dass sie irgendwann mal nach Hause wollen, dafür hat der Kunde kein Verständnis. ‚Wat, ihr macht schon zu? Gibt’s nicht genug Arbeitslose? Habt’s wohl nich nötig‘, giften Leute, die um zwei Minuten nach 20 Uhr partout noch was einkaufen wollen. Dieselben würden dann um 22.02 Uhr kommen.

Die Sonderöffnungzeiten bei der Fußball-WM haben gezeigt: Für 70 Prozent der Geschäfte hat sich der Ladenschluss von 22 Uhr nicht rentiert, schon gar nicht für den Lebensmittelhandel. Die Klauerei hat in der Zeit extrem zugenommen. Wenn weniger Kunden da sind, ist natürlich auch weniger Personal im Laden. Wie heißt es so schön? Gelegenheit macht Diebe.“ PLU

Schon jetzt 365 Tage offen

Miriam Müller*, 22, arbeitet als Friseurin im Bahnhof Potsdamer Platz:

„Wir haben schon jetzt 365 Tage im Jahr geöffnet – wir müssen das tun, weil wir sonst Strafe an die Bahn zahlen müssen. Die wollen, dass wir jeden Tag offen haben. Also arbeiten wir von Montag bis Samstag von 10 bis 19 Uhr und am Sonntag auch von 14 bis 20 Uhr. Ich würde sagen, das reicht. Es würde sich, glaube ich, auch nicht lohnen, noch länger aufzuhaben, weil die Kosten für den Strom und das Personal wahrscheinlich höher sind als die Einnahmen.

Und, klar, ich kaufe schon öfter nachts ein. Momentan eben noch beim Spätverkauf. Meistens Schokolade, Alkohol oder Chips. Manchmal auch Suppen oder andere Lebensmittel. Wenn es die jetzt günstiger im Supermarkt gäbe zur selben Uhrzeit, würde ich dort natürlich einkaufen gehen, klar.“ DOS

Kaufe auf Vorrat

Cem Özdemir (Grüne), 40, Mitglied des Europaparlaments, pendelt zwischen Berlin und Brüssel, wo er jeweils viele Stunden in Sitzungen verbringt:

„Durch die längeren Ladenöffnungszeiten wird sich bei mir eigentlich nicht so viel ändern. Bei meinem Lebenswandel muss ich ohnehin immer auf Vorrat kaufen. Entweder am Samstag oder am Montag, wenn ich für eine Woche in Brüssel bin. Ich glaube, abends bis 20 oder 21 Uhr einzukaufen, ist realistisch. Aber nachts um drei Uhr werde ich das sicher nicht tun. Da habe ich etwas anderes zu tun.“ DOS

Nachts ist es gefährlich

Jürgen Landowski*, 43, ist Polizist und hat einen offenen Brief an den Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit geschrieben. Darin kritisiert er das neue Ladenöffnungsgesetz, weil er befürchtet, dass dadurch mehr Frauen zu Opfern von Gewaltstraftaten werden könnten: „Auf meinen Brief habe ich bislang noch keine Reaktion erhalten. Vielleicht kommt das ja noch. Die Hoffnung verliere ich jedenfalls nicht. Ich sehe in dem neuen Ladenöffnungsgesetz ein Problem, weil ich glaube, dass es zu mehr Gewalt an Frauen führt. Im Einzelhandel arbeiten deutlich mehr Frauen als Männer und wenn zum Beispiel ein Supermarkt bis 22 Uhr geöffnet hat, dann müssen die Frauen oft noch mit dem Bus oder der Bahn nach Hause fahren.

Meine Frau arbeitet in einem Supermarkt in Kreuzberg. Der Weg zu uns nach Hellersdorf ist ziemlich lang. Als Polizist weiß ich, dass besonders in den Bahnhöfen viele dunkle Gestalten rumlaufen. Die BVG selbst schickt zu wenig Wachpersonal dorthin, die Tore zu den Bahnhöfen werden früh geschlossen und die Bahnen fahren immer seltener, je später es wird.

Ich glaube auch, dass es mehr Diebstähle geben wird, wenn die Läden länger öffnen. Dann arbeiten dort weniger Leute, und ein Dieb hat es leichter. Der kann nachts auch noch leichter abhauen oder sich verstecken. Durch den Anstieg der Straftaten hat die Polizei mehr Arbeit – und das bei gleichzeitigen Einsparungen. Eine Sicherheitslücke ist da vorprogrammiert.

Natürlich, Ausnahmen würde ich machen, für Touristenzentren wie den Alex, den Ku’damm oder die Friedrichstraße. Ich selber habe mich aber noch nie danach gesehnt, um Mitternacht in ’nem Supermarkt ’ne Selters zu kaufen. Ein guter Schutzmann erledigt das vor dem Dienst.

Und an die Familien hat keiner gedacht. Wenn meine Frau und ich beide nachts arbeiten müssten, wer passt dann auf unsere Kinder auf? Die Zeit, die wir mit ihnen verbringen können, ist sowieso schon sehr knapp.“ DOS

Raus aus der Grauzone

Doris Heil, Betreiberin des Spätkaufs Heil Quelle im Reuter Kiez in Neukölln: „Mir bereitet die Freigabe der Ladenöffnungszeiten keine Sorgen. Das wird vielleicht Läden hart treffen, die direkt neben großen Supermärkten wie Karstadt liegen. Bei mir ist nur ein Edeka um die Ecke – der wird da wohl nicht mitziehen.

Und wenn schon: Auch seit dort abends bis um acht Uhr geöffnet ist, kommen die Leute zu mir und kaufen ihr Bier, ihre Zeitschrift oder was man sonst für einen gemütlichen Abend braucht. Ich habe zum Beispiel 60 Sorten Bier. Da kann Edeka nicht mithalten.

Im Grunde genommen sehe ich die Abschaffung der Ladenschlusszeiten sogar sehr positiv. Damit komme ich nämlich aus der rechtlichen Grauzone heraus, in der ich mich mit meinem Spätkaufladen befinde. Und viele Menschen werden die Möglichkeit, auch mal abends arbeiten zu können, begrüßen. Dann können sie tagsüber endlich mal auf die Ämter gehen.“ MWA

Länger nur im Sommer

Mario Schubert, 32, ist Geschäftsführer des Möbelgeschäfts VEB orange in der Oderberger Straße in Prenzlauer Berg. Er hat sich auf Retromöbel aus den 60er- und 70er-Jahren spezialisiert: „Für mich ändert das neue Gesetz kaum etwas. Na gut, am Sonntag kann ich meinen Laden nun auch aufschließen. Aber länger öffnen als 20 Uhr? Im Sommer vielleicht mal eine oder zwei Stunden, wenn man auch draußen sitzen kann. Wäre mein Laden auf der Kastanienallee, dann könnte ich mir vorstellen, auch im Winter länger offen zu haben. In einem anderen Stadtteil ginge das wahrscheinlich nicht. Meinen Laden kann ich mir eben nur hier vorstellen, in Prenzlauer Berg.

Wir öffnen schon um 10 Uhr, weil viele Touristen, die hier vorbeikommen, ihre Touren früh beginnen. Auch die Theaterleute, die bei mir Requisiten kaufen, stehen früh auf der Matte. Aber länger aufhaben? Das will ich meinen Angestellten nicht zumuten. Schließlich brauchen wir Zeit für die Familie.“ DOS

* Namen von der Redaktion geändert