: Da weiß man, was man hat
Umweltministerin Merkel gilt den Ökologen nach einem Jahr als berechenbare Gegnerin. Sie selbst ist mit ihrer ökologischen Bilanz zufrieden ■ Von Annette Jensen
Berlin (taz) – Die Frau pflegt das Vorurteil, sie sei eine zahnlose graue Maus. Doch viele ihrer KritikerInnen bescheinigen Umweltministerin Angela Merkel (CDU) mittlerweile, daß sie weiß, was sie will. Das Problem ist nur: Sie will das Falsche. Jörn Ehlers, Pressesprecher vom Ökoinstitut bringt es auf den Punkt: „Die Situation ist heute klarer als bei ihrem Vorgänger. Wir wissen, daß wir bestimmte Sachen nur gegen sie und nicht mit ihr durchsetzen können.“
Merkel aber ist mit ihrem ersten Jahr als Umweltministerin durchaus zufrieden. Sie glaubt vor allem an technische Lösungen und an den guten Willen der Industrie. „Immerhin ist bei ihr die Differenz zwischen Ankündigungen und realer Politik nicht mehr so groß wie bei Töpfer“, meint ein Mitarbeiter des Umweltbundesamtes.
Beim Umwelt-Audit-Gesetz, das in diesem Monat in Kraft tritt, hat die neue Ministerin die Verantwortung für die Umweltbetriebsprüfung voll in die Hände der Industrie gelegt. „Wenn man das tut, darf man auf keinen Fall die staatliche Kontrolle abschaffen“, warnt Martin Führ, Umweltrecht-Professor in Darmstadt. Doch genau das will Merkel. Sie kündigte gestern nicht nur eine Vereinfachung und Beschleunigung der umweltrechtlichen Genehmigungsverfahren an. „In einem zweiten Schritt muß über die Aufgabenverminderung der Behörden nachgedacht werden.“
Ihren großen Auftritt hatte Merkel im Frühjahr bei der UNO- Klimakonferenz in Berlin. Immer wieder stellte sie Deutschland als Musterschüler dar. Doch mit ihrer Politik ist die geplante Reduzierung der CO2-Emissionen um 25 Prozent bis zum Jahr 2005 nicht zu machen. Die Ökosteuerdebatte hat sie abgewürgt durch eine lasche Selbstverpflichtungserklärung der Industrie. Und zum Thema Verkehr fällt der Ministerin nichts anderes ein als emissionsärmere Autos. Das Stichwort Verkehrsvermeidung erwähnte sie bei ihrer Jahresbilanz gestern nicht einmal. Auch ihre Sommersmogverordnung wird wohl nie jemanden vom Fahren abhalten – erstens ist der Grenzwert viel zu hoch, und zweitens gibt es für den höchst unwahrscheinlichen Fall, daß er trotzdem erreicht wird, zahlreiche Ausnahmeregeln.
Das lange geplante Bundes-Bodenschutzgesetz liegt inzwischen als Referentenentwurf vor. Doch vom Ansatz der Vorsorge ist nichts mehr übriggeblieben; es geht ausschließlich um die Sanierung von Altlasten. In der Müllpolitik deutet nichts darauf hin, daß Merkel aus den Fehlern ihres Vorgängers Töpfer bei der Verpackungsverordnung gelernt hat: Die Industrie hat mit dem grünen Punkt lediglich ein teures Entsorgungssystem aufgebaut – an den Produkten selbst hat sich jedoch nichts geändert. Merkel proklamierte gestern dennoch weiter die Verantwortung der Wirtschaft und versprach dafür weitere Deregulierungen.
Auf die Atomkraft in Deutschland will Merkel nicht verzichten – die Welt würde sonst unsicherer. „Wir würden unsere Schrittmacherrolle für die sicherheitstechnischen Verbesserungen verlieren“, argumentiert sie. Statt Rückzug schlägt sie die Einbindung osteuropäischer Atomfirmen in die Entwicklung des neuen Druckwasserreaktors EPR von Siemens und Framatom vor.
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