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Eroberung in Sekundenabschnitten

■ Von Emanzipationsgeschichten und Tabubereichen: Morgen starten die Tunesischen Filmtage

„Der Körper ist der Schlüssel zur Identität. Ich bin absolut für ein Kino des Körpers.“ Das schrieb der tunesische Filmregisseur Nouri Bouzid in einem Text, den die überregionale taz auf ihren gestrigen „Index on Censorship“-Seiten dokumentierte. Was so ein Kino des Körpers in dem nordafrikanischen Land in der Praxis bedeutet, war dort auch zu lesen: ein Vabanquespiel und Schacherei mit den Zensurbehörden.

Weil Bouzid in Les Sabots en Or zweimal unbekleideten Körper zeigt – einmal in einer Folter-, einmal in einer Liebesszene –, blieb der Film ein Jahr lang verboten. Danach einigte man sich auf einen Kompromiß: drei Minuten müssen herausgeschnitten werden. Weitere Verhandlungen brachten noch ein besseres Ergebnis. Nur noch 35 Sekunden mußten raus, 20 aus der Folter-, 15 aus der Liebesszene. So erobern sich die tunesischen Filmemacher zur Zeit ihr Terrain in Sekundenabschnitten.

Bei den Tunesischen Filmtagen, die morgen im Hamburger Metropolis-Kino eröffnet werden, werden drei Filme von Nouri Bouzid gezeigt: Die goldenen Hufeisen, Der Mann aus Asche und Bezness. Und auch der tunesische Filmregisseur selbst, der als Vertreter der radikalen Linken sechs Jahre lang im Gefängnis saß, wird als Gast erwartet. Ihn kann man von Freitag, dem 8. Dezember, bis Sonntag, dem 10. Dezember, in Hamburgs kommunalem Kino antreffen.

Tunesien ist ein kleines Land. Trotzdem hat es eine ganze Reihe interessanter Filme hervorgebracht. Die Filmtage zeigen 13 der etwa 50 langen Spielfilme, die bislang in dem Acht-Millionen-Einwohner-Staat produziert wurden. Viele der Filme umkreisen den Tabubereich der Sexualität. Darüber hinaus überrascht oft geradezu, wie genau und offen die Geschlechterbeziehungen unter die Lupe genommen werden. Bereits 1978 zeigte Die Hochzeit einen nächtlichen Streit zwischen einem Ehepaar, in derem Verlauf die Mann-Frau-Beziehungen schonungslos offengelegt werden. Und in Nouri Bouzids Bezness ist Roufa, der seiner Schwester gegenüber repressive Moralvorstellungen vertritt, alles andere als die Identifikationsfigur. Die Filme sind thematisch stark in das tunesische Sozialgeflecht eingebunden, kritisch dazu verhalten sie sich allemal.

Auf Moufida Tlatlis Die Stille der Paläste sollte noch gesondert hingewiesen werden. Er läuft im Rahmen der Filmtage vom 17. Dezember an vier Tage lang im 3001-Kino. In Rückblenden erzählt der Film eine Emanzipationsgeschichte aus der Perspektive ihres Scheiterns. Dabei besticht Die Stille der Paläste vor allem durch seine sehr klar strukturierte Bildsprache, in manchem darf man sich durchaus an frühe Fassbinder-Filme erinnert fühlen.

Dirk Knipphals

Termine siehe Kinoprogramm

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