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Rache ist süß

■ Mit Schmalz und Gloria: Wie Ortrud Beginnen die Kammerspiele eroberte

Von den Haar- bis zu den Fußspitzen eine Diva. Allerdings eine seltsam brüchige. Am Mittwoch trat Ortrud Beginnen für einen Abend in den Kammerspielen auf, sang einige Lieder und erzählte Schmonzetten aus der Familienchronik. Und, was soll man sagen? Es war hinreißend.

Die Zuordnungen in den Geschichten haben wir schon wieder vergessen. Weil wir nämlich manchmal nicht zugleich schmunzeln und uns etwas merken können. Aber in etwa liefen sie zum Beispiel darauf hinaus, daß Ortrud Beginnens Oma Hermine auf dem Dienstbotenball im Bieberhaus einen Musiker des Orchesters sich eroberte; während wiederum die Mutter Ingeborg (oder war es Tante Gerda?) gerne das „Lied der Kurfürstin“ aus der Operette Der Vogelhändler anstimmte, bevorzugt zusammen mit einem klumpfüßigen Organisten irgendwo im Mecklenburgischen; wobei nun unbedingt noch Tante Gerda (oder war das die Oma?) erwähnt werden muß, die beim Schlachter Albers in der Langen Reihe einkaufte und dann auch noch deren Sohn als Geburtshelferin ins Leben half, aus dem später der berühmte Hans Albers werden sollte. Was wiederum Frau Beginnen veranlaßt, nach dem „Lied der Kurfürstin“ auch noch „Hoppla, jetzt komm ich“ ins Mikrofon zu schmettern – nicht unbedingt ganz richtig, aber doch mit viel Verve. Und Gloria.

Ein Heimspiel. Das Publikum lag der Schauspielerin, Entertainerin und Chanseuse bereits zu Füßen, als sie noch gar nicht angefangen hatte. „Die Musik hat an meiner Familie etwas gutzumachen“, befand Ortrud Beginnen streng. Denn neben dem auf Bällen schmalzenden Großvater und klumpfüßigen Organisten gab es etwa auch noch den Trompeter eines Dragonerregiments bei Lübs, der die Großtante (?) erst schwängerte und dann schmählich verließ. „Aber der Abend soll nun kein Racheakt an der Musik sein“, sagt Ortrud Beginnen. Und bevor sie das nächste Lied anstimmt, sagt sie schnell: „Oder doch, ein Racheakt.“ Und uns leuchtete plötzlich ein, warum es heißt, Rache sei süß.

Dirk Knipphals

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