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Handy-Man der neuen Schule

DefJam, das berühmteste Label der HipHop-Geschichte, wird 10. Der Mann dahinter heißt Russell Simmons und dirigiert sein Imperium öffentlich – mit dem Handy in der Hand. Motto: Du mußt telefonieren für dein Recht auf Party  ■ Von Annette Weber

Broadway, 4. Straße East. Tower Records, der größte Plattensupermarkt New Yorks, spült den neuesten Mariah-Carey-Song auf die Straße, die hippen Outfitläden drumrum dudeln Technomusik zum Plastikröckchenverkauf. Um die Ecke, Richtung Lafayette, ist eine noble Eingangshalle mit Empfangsmann, und im elften Stock befinden sich die ehemaligen Estée-Lauder-Büros.

Jetzt residiert dort Russell Simmons, der Chef von DefJam. Nach exklusiven Pflegeserien sieht es im oberen Stock nicht aus, der Weg führt durch eher kleine Büroräumchen, die sich dann allerdings wundersamerweise vor den vorauseilenden Füßen von Minikleid- und Stiefelträgerinnen nach unten auftun und ins Konferenzzimmer weiterführen. Alles recht bieder auch hier unten. Aber viel im Büro ist der Mann, der der Welt DefJam gab, ohnehin nicht.

Simmons managt das berühmteste Label der HipHop-Geschichte, untrennbar verbunden mit Namen wie Public Enemy, Run DMC und LL Cool J, buchstäblich von unterwegs. Das Leben des mittlerweile fast Vierzigjährigen spielt sich zwischen dem benachbarten Time Café (meist), dem Ex- Estée-Lauder-Büro (gelegentlich), seiner Wohnung (wenn er mal schläft), die er fast vollmöbliert von der Sängerin Cher übernommen hat, seinem Wochenendhaus und all den tausend Parties, Konzerten, Modeschauen und Restaurants ab.

Auch heute sitzt er im Time Café, allerdings als Jubilar: DefJam wird 10 Jahre alt. Ein Journalist von Le Monde versucht, ihn zu diesem Anlaß zu interviewen, Simmons versucht zu boykottieren. Vor ihm steht eine riesige Flasche Wasser auf dem Tisch, Zettel und Servietten und vor allem: zwei Handys – wobei eines permanent an seinem Ohr klebt.

HipHop-Label oder Würstchenbude?

Dann sitzen da noch seine Promotion-Managerin und Zuständige für die internationale Presse, die verzweifelt die Augen verdreht, weil der Mann die Wichtigkeit dieses Le Monde-Interviews nicht erkennen will. „Le Monde, was für 'ne Auflage haben die, wer liest das?“ fragt Simmons geschäftlich. Die Tische um ihn herum sind mit staunenden, lächelnden Leuten besetzt, von denen sich manchmal einzelne aus den Stühlen lösen, zu ihm an den Tisch kommen, ihm ein Handy entgegenstrecken oder kryptische Informationen weiterleiten.

Simmons und sein Imperium leben in einer Bar. Und nichts würde seinem Lebensstil besser stehen. Nicht nur, daß hier Öffentlichkeit garantiert ist, die Gespräche scheinen auch weniger schwerwiegend zu sein als in einem Büro. Alles ist eingewoben in einen konstanten, bloß vom Piepsen der Handys unterbrochen flow. Man sieht und wird gesehen. Hier kommen mal eben die Rapper XY, der Reporter vom Playboy, der Fernsehstar Soundso und natürlich alle möglichen Models vorbei.

Fragen nach der Geschichte des Labels erzeugen da eher Unlust. Ja, er hat DefJam vor zehn Jahren zusammen mit Rick Rubin gegründet, ja, er hat vor einiger Zeit nebenher noch seinen HipHop-Bekleidungsladen „Phat Farm“ aufgemacht, ja, er hat ein Kommunikationsunternehmen „Rush Communications“ gegründet. Wenn ich das schon weiß, muß ich doch auch nicht noch danach fragen. Was die unterschiedlichen Firmenzweige für ihn bedeuten, wo er seine Prioritäten setzt? „Noch bezahlt die Musik meine Miete“, heißt es lapidar. So als ob ein HipHop-Label eine Würstchenbude wäre.

Selbstzweifel sind langweilig

Oder ist es das am Ende? Eine Hochglanzbude? Ein Marketing- Talent war Simmons jedenfalls schon immer. Gerade lief sein Film „The Show“über DefJam an, der Versuch eines HipHop-Historienstreifens. Mit Eddie Murphy will er „Nutty Professor“ drehen, und in Kooperation mit dem Ex-Undergroundfilmer Abel „Bad Lieutenant“ Ferrara soll ein Film namens „Addiction“ entstehen. Über eventuelle Zweifel, Erfahrungen, Freundschaften, KünstlerInnen und Feinde, Vergangenheit und heutige Situation von DefJam zu sprechen, langweilt ihn sichtlich – da telefoniert er lieber mit Tracy, die ihn mit Wendela bekannt machen will: „Wendela, du meinst das einzig gutaussehende weiße Model, mein Gott, Tracy, du machst mich ganz nervös, wo willst du, daß ich sie treffe, in meinem Restaurant? Oh Mann, das macht mich an, uhh, sie ist so supersexy. Ist sie intelligent? Das ist alles, was zählt, ich liebe, starke, unabhängige, intelligente Frauen.“

Zu glauben ist letzteres kaum, kommt in „The Show“ doch nicht eine einzige Rapperin vor. Und sieht man sich die VIP-Fotos in amerikanischen Illustrierten an, in denen Russell regelmäßig auftaucht, ist er mit einer offenbar nächtlich wechselnden Model- Riege zu sehen. Allein heute wird er Naomi Campbell bitten, eine Party für ihn und Phat Farm in London zu geben, wird er Veronica Webb (die übrigens für Estée Lauder wirbt und mit der sich Simmons auch im Billboard fashion report zeigt) bitten, ihn auf seinem Europatrip zu begleiten. Später wird ein italienisches Model am Tisch vorbeikommen und ihn überzeugen, seine Phat-Farm-Präsentation nicht in Rom, sondern in Mailand zu machen, weil dort gerade Pavarotti ist und sie da ein gemeinsames Ding organisieren könnte – Pavarotti als Elder statesmen New Yorker Street Wear?

Dealen mit kreativen Potentialen

Ist es wirklich zu glauben, daß alles mal mit ausschließlich auf Kassetten vertriebener Musik anfing? 1977, back in the old days? Rap war noch in den verschiedensten Funk- und Black-Psychedelic- Bands versteckt, da hörte der damalige Soziologiestudent Russell, Spitzname „Rush“, ein Tape von einem gewissen Eddie Cheeba und organisierte eine Party für ihn. Robert Ford vom Billboard-Magazin sah die Plakate, mit denen Russell und sein Bruder Joey (der spätere Run von Run DMC) Queens zugepflastert hatten – und gab ihm den Rat, sich auf Partys und Plattenproduktionen zu spezialisieren. Es dauerte keine zwei Jahre, und Russel managte den Frührapper Kurtis Blow.

Und doch war es nie allein die Musik, die Simmons interessierte, immer das soziale Phänomen der black urban culture: Blockparties, Klamotten, Sprüh- und Großsprechwettbewerbe – das ganze Ding, um das es sich dreht. Als Manager der Band seines Bruders, Run DMC, erfand er nicht nur deren Namen (den die Band damals geschlossen haßte), er war zuallererst Stilberater. Er hatte die Idee mit den offen getragenen Adidas- Turnschuhen (bekannt geworden vor allem durch das Video zu „Walk This Way“) – und legte damit das Erkennungsmerkmal für die später sogenannte „Old School“ fest. Russell selbst trägt sie – auch wenn DefJam heute eher für die „New School“ steht – heute noch.

1985 gründete er mit dem unfreundlichen Metal-Freak Rick Rubin dann DefJam. Rubin hatte, obwohl weiß und nicht direkt in der Szene, eine Rap-Platte mit T La Rock aufgenommen, außerdem Jazzy Jays „It's yours“ – in seinem Studentenwohnheim-Zimmer. Das hat Russell schwer beeindruckt, und zusammen sollten die damals 21- und 27jährigen die erfolgreichsten Rap-Bands der Neunziger produzieren. Ihr Label hieß Def wie „geil, heiß“ und Jam wie „Session, Musik“. Der erste, der drauf kam, war ein Mann, der sich LL Cool J nannte.

Public Enemy „zu politisch“

Ladies Love Cool James, der damals noch Cowboystiefel trug, hatte sein Tape bei Rick abgege

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ben, und Rick, der für eine Band den DJ machte, die sich „Young and Useless“ nannte (mit Adam Horowitz, dem späteren Ad Rock von den Beastie Boys), fand dieses Tape wirklich überzeugend. Und DefJam startete seinen ersten Super-Seller.

Danach kamen die Beastie Boys, und durch die einzige weiße Band, die Russell jemals unter Vertrag nahm, wurde DefJam richtig groß. Die Beastie Boys verließen DefJam 1987 und gingen zu Capitol, was Teil einer größeren Krise zwischen Simmons und Rubin nach sich zog. Die beiden trennten sich 1989, Rick Rubin machte ein neues Projekt namens „Def America“, Russell behielt DefJam.

Alle größeren Acts, von Wu- Tang Clan, Warren G, LL Cool J, Slick Rick, Eric Sermon, Onyx, Domino und Public Enemy sind 1995 im DefJam-Haus – obwohl es mittlerweile auch Abweichler gibt. Public Enemys Chuck D beispielsweise ist im Moment stinksauer: „Bei DefJam geht nichts weiter. Rick hat mit Def America ein lebendiges Label, aber Russell hängt doch jetzt vollends in seinem R&B-Dröhnland. Die Beastie Boys haben den richtigen Schritt gemacht, die sind gegangen, und hör dir an, was sie machen, sie machen gute, neue, unterschiedliche Platten. Russell will von mir, daß ich immer und immer wieder dieselbe Platte aufnehme, er erlaubt uns nicht, Neues zu machen.“

Aber Chuck D und seine Leute sind genau die Art von Rap-Act, die Simmons im Grunde ohnehin nie ausstehen konnte. Sie waren ihm „zu politisch“.

Hugh Hefner des HipHop?

Russell selbst wollte nie Musik machen, immer schon Produzent sein – der Mann, der alles an den Mann bringt. Eine Position, die in Zeiten des universalen Marketing immer wichtiger wird: Dealen mit kreativen Potentialen. Den Zeitpunkt riechen. Die Übersetzung leisten. Und tatsächlich war es Simmons, der HipHop zu Beginn der Achtziger in die Sprache auch weißer Käuferschichten übersetzte.

In den unzähligen Presseartikeln wird Simmons oft mit dem Motown-Manager Berry Gordy verglichen. Auch mit Playboy-Macher Hugh Hefner. Was Russel von dem Vergleich zwischen ihm und Hefner von Playboy hält?

Da grinst er, und die Kumpels Nelson George (jetzt Playboy- Schreiber) und Chris Rock (Komödiant beim Fernsehkanal NB4) fallen unter den Tisch. Nelson: „Klar, hier geht es um Lifestyle, und Russells Lifestyle ist Hefners Lifestyle, da gibt es keinen Widerspruch. HipHop ist Sex.“ Simmons: „Keine Ahnung, aber hat der Mann jemals ein Plattenlabel, ein Designerlabel, mehrere Geschäfte, ein Managementunternehmen und all das geleitet? Ich glaube nicht. Wenn es um den Lifestyle geht – vielleicht.“

Zum Schluß, nachdem sich Chris Rock, Nelson und Russell über den „Traum jedes schwarzen Mannes“ – „ein gutproportioniertes weißes Model“ – unterhalten haben, frage ich, warum es soviel antischwule Stimmung in der HipHop-Szene gibt? Chris Rock: „Der schwarze Mann hat schon so genug Probleme, wir brauchen nicht noch mehr.“

Russell Simmons lacht. Daß er nicht derjenige ist, mit dem man sich über dieses Problem unterhalten sollte, machte er schon dem Le Monde-Interviewer klar, als er nach Politik, politischen Texten und der Wirkung von Rap gefragt wurde. „Fragen Sie doch die Künstler, ich bin Geschäftsmann.“

Europa auf Handy Nummer 3

Das Nichtgespräch nähert sich eh seinem Ende. Rapper Snoop Doggy Dogg, den er vor einigen Stunden mit Champagnerflasche und Eisbecher ins Taxi verfrachtet hat, um ihn bei Tommy Hilfiger neu einkleiden zu lassen, ruft auf Handy zwei an, um sich nochmals bezüglich der Abendgestaltung zu erkundigen. „He, my man Russell, was ist los?“ krächzt es aus der Muschel. „Oh, Snoop, heute abend, wir gehen zu D'Angelo ins Tramps. Erste Vorstellung, wir holen dich ab.“

Seine Managerin wird nervös, weil sie seit einigen Minuten wichtige Leute aus Europa am Handy 3 hat, mit denen sich Russell wegen der kurzen Tournee unterhalten soll. Da steht auch schon die willkommene Abwechslung. Er kriegt von einem beanzugten Mann die Autogrammkarte einer Sängerin, die am Tisch neben ihm saß.

Russell lächelt, weist ihn darauf hin, jetzt keine Zeit zu haben, kritzelt die tausendste Notiz auf die Serviette, kramt sich die hundertste Telefonnummer aus seinem Kopfspeicher und läßt zwei Stunden später, als wir den Platz verlassen, das Bild der Nachwuchskünstlerin auf dem mit Zetteln übersäten Tisch liegen.

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