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Grundkurs Manga

■ Abenteuer-, Ninja-, Porno-Comics: "Komische Bilder" aus Japan, jetzt erstmals im Spiegel der Wissenschaft

Jährlich gehen über zwei Milliarden Manga-Zeitschriften oder -Bücher über den Ladentisch, zwei Drittel aller in Japan erscheinenden Druckerzeugnisse sind Mangas.

Mangas (in etwa „komische Bilder“) sind günstige Presseerzeugnisse auf schlechtem Papier, die erst nach dem Erfolg als Zeitschriftenbeitrag in Buchform veröffentlicht werden. Mittlerweile führt fast jeder deutsche Comic-Verlag einen oder mehrere Manga-Titel, mal hymnisch als „Mangamania“ (Die Woche) begrüßt oder als „Einweg“-Comics (Nürnberger Zeitung) abgetan.

Von deutscher Seite wird oft keine Sorgfalt in die Mangas verwandt. Um Geld zu sparen, wird die amerikanische Übersetzung eingedeutscht. Um die europäische Leserichtung (im Japanischen von rechts nach links, was einige französische Verlage so übernehmen) beizubehalten, werden die Seiten gespiegelt, wobei schon mal eine Hauptperson vom Links- zum Rechtshänder wird.

Mit „Phänomen Manga“ von der in Kyoto lebenden Japanologin und Übersetzerin Jaqueline Berendt liegt nun eine erste Übersicht über die historische Entwicklung, soziale Einbettung und die verschiedenen Manga-Genres vor. Große Gruppen stellen die Mädchen-, Funnies-, Porno- und Abenteuer-Mangas dar. Das erfolgreiche Genre Erwachsenen- und Bildungs-Manga ist noch relativ jung. Berendt sieht in „Japan GmbH“ (jap. 1986, dt. 1990) den ersten Vertreter.

Das ist durchaus strittig, denn ebenso könnte der halbbiographische, den Abwurf der Atombombe schildernde Manga „Hadashi no Gen“ von Jeiji Nakazawa (jap. 1972, dt. 1982 in stark gekürzter Fassung) als Ausgangspunkt gelten.

Am Anfang des Mangas dominierten europäische, kindliche Ganzkörperfiguren und ein schematischer Seitenaufbau. Erst nach und nach wurden die Figuren psychologisiert, bekamen die Figuren asiatische Gesichtszüge, tauchten andere Probleme als die Erledigung vieler Gegner auf. Sampei Shiratos „Kamui“ (zwei Bände, Carlsen 1995, je 36 Mark) wird von Berendt als wegweisend beschrieben.

Das von Berendt zusammengestellte Bildmaterial verdeutlicht den Unterschied zwischen Verkindlichung und Realismus. Die Lektüre von „Kamui“ braucht jedoch Zeit.

Erst nach und nach wird in der engen Vorgabe eine Ninja-Geschichte (viele Kampfpanels) die ungewöhnliche Figur einer starken (Ninja-)Frau oder die Konturierung des japanischen Feudalismus deutlich.

Nach Berendt war dieser Comic ein Identifikationsmoment der aufrührerischen Studenten Anfang der siebziger Jahre. Statt „I can get no satisfaction“ in Anlehnung an die Stones des Westens wurde hier der Jugendliche als ein von der Gesellschaft verstoßener Kämpfer gezeigt.

Trotz der marktbeherrschenden Macht einiger Großverlage ist das subversive Moment dem Manga nicht abhanden gekommen. Berendt weist auf die sehr aktive Fanzine-Szene und die sogenannten „Dòjinshi“, Indie- oder Amateur- Mangas hin, die aber sowohl politisch als auch formal innovativer als der Mainstream sind. Fast unglaublich erscheint aus europäischer Sicht die Aussage, daß in dieser Szene auch freiberufliche Comic-Kritiker gut leben können.

Während Prinz die „spezielle japanische Erotik“ feiert, beschreibt Berendt die Motive von lustvoll empfundener Vergewaltigung und Striptease, von gefesselten und strangulierten weiblichen Objekten bloß. Zu viel Verständnis erweist Berendt den männlichen Gewaltphantasien, wo sie auf vergleichbare Motive bei Autorinnen hinweist, deren Mädchen-Mangas, wie sie selbst einräumt, von Männern verlegt werden.

Überhaupt mangelt es Berendts Buch an Distanz zu japanischen Motiven. Skurril wird das, wenn sie den japanischen Geisterglauben rechtfertigt. Der überhöfliche Respekt für das Gastgeberland ist allerdings der einzige Einwand gegen diese Einführung. Martin Zeyn

Jaqueline Berendt: „Phänomen Manga“. Edition Q, Berlin 1995, 38 DM

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