: Streit um Disneyland in Auschwitz
Jüdische Organisationen protestieren gegen den Bau eines Supermarktes auf dem Gelände des größten Vernichtungslagers Europas. Polnische Behörden zeigen sich verwundert ■ Aus Oświecim Gabriele Lesser
„Ich will nicht, daß vor der größten Todesfabrik Europas ein Disneyland entsteht!“ Szymon Szurmej brüllt fast ins Telephon. Dann wechselt der Direktor des Jüdischen Theaters in Warschau und Vorsitzende des Koordinationskomitees der jüdischen Organisationen in Polen, abrupt die Intonation. Ruhig und bedacht setzt er seine Worte: „Laßt uns rund um das Lager einen Wald anpflanzen. Einen Park mit vielen Bäumen, der uns endlich Ruhe gibt – den Lebenden und den Toten.“
Unmittelbar vor dem Eingang zum Konzentrationslager Auschwitz sollen ein Supermarkt und ein Restaurant entstehen, hatte bereits am 19. Februar die in Kattowitz erscheinende Trybuna Śląska gemeldet und einen internationalen Skandal vorhergesagt. Als sich nach einem Monat noch kein Skandal entwickelt hatte, trudelten bei Redaktionen in Polen, Amerika und Israel Faxe mit den Artikeln „Lagergeszeft“ und „Supermarket Auschwitz“ ein. Die Nachrichtenagenturen stiegen ein. Der Skandal kochte hoch. Aus Kanada kam ein vorgedruckte Protestbrief, der unterschrieben an die polnische Regierung weitergeschickt werden konnte. Zwei Tage später war die Angelegenheit zur Chefsache diverser Regierungen geworden. Am Montag forderte Shevach Weiss, der Sprecher des israelischen Parlaments, Aleksander Kwaśniewski auf, „die Ehrfurcht gebietende Heiligkeit des Ortes“ zu bewahren. Einen Tag später verdammte die französische Politikerin Simone Veil, die wie Weiss und Szurmej zu den Überlebenden des Holocaust gehört, das Vorhaben als „inakzeptabel und widerlich“. Elan Steinberg, Sprecher des Jüdischen Weltkongresses, fand es „besonders schmerzlich, daß an dem Projekt ein deutscher Unternehmer beteiligt ist“.
Ortsbesichtigung am 13. März 1996: Gegenüber der Parkplatzeinfahrt zur Gedenkstätte, in rund 300 Metern Entfernung, baumelt ein riesiges Schild: „Market“ steht darauf, doch die Buchstaben sind kaum noch zu lesen. Den „neuen“ Supermarkt gibt es bereits seit Jahren. In dem heruntergekommenen Gebäude, das Mitte letzten Jahres zusammen mit dem Nachbarhaus an die deutsch-polnische Firma „Maja“ verkauft wurde, war bis vor kurzem auch ein Maler- und Tapezierbetrieb untergebracht. Im Nachbarhaus befanden sich eine Heizungsanlage und ein Großhandelsunternehmen. Im Garten liegt Gerümpel. Knallige Reklameschilder säumen die Straße und werben für „Satellitenschüsseln“, „Fleisch und Wurst im Großhandel“, „Farben und Lacke“. Hinter einem imposanten blauen Schild „Zentrum für Information, Dialog, Erziehung und Gebet in Auschwitz“ lugt eine unscheinbare schwarze Tafel hervor: „Birkenau, 3 km“.
Auf der anderen Straßenseite können die Besucher an drei Buden noch schnell ein Hot-dog mit Ketchup kaufen, die Tageszeitung oder ein paar Blumen zum Ablegen im „Museum“. Im ersten „blok“ auf der rechten Seite wurden 1940 die ankommenden Häftlinge „begrüßt“. Heute ist hier eine „bar“ untergebracht, ein Restaurant mit Kantinencharakter.
„Ich verstehe das alles nicht!“ Jerzy Wróblewski, der Direktor der Gedenkstätte, deutet auf mehrere Papierstöße: „Alles Proteste.“
Alle kannten den Plan und jetzt sind sie dagegen
Er zieht einige Zettel hervor: „Wir haben einen Bebauungs- und Bewirtschaftungsplan für die sogenannte Schutzzone rund um das ehemalige Stammlager ausarbeiten lassen. Drei Jahre hat das gedauert. Alle haben den Plan gesehen und gebilligt: die Stadt, das Ministerium, die 300 Mitglieder des Internationalen Museumsrates. Jetzt wird das erste Gebäude nach diesem Plan umgebaut – und plötzlich sind alle dagegen!“
Auch Andrzej Telka, der Bürgermeister der Stadt Oświecim, versteht nicht, warum bisher niemand gegen den unansehnlichen Supermarkt und die Reklametafeln protestiert hat. Und weshalb ein Restaurant, das sich außerhalb des ehemaligen Lagers befindet, die Würde der Toten mehr verletzt als ein Selbstbedienungslokal in der ehemaligen Ankunftsbaracke der Häftlinge. „Laut Plan sollen die Reklametafeln abmontiert, die Gebäude nach strengen Auflagen restauriert und umgebaut werden, die bisherige Zufahrt zum Supermarkt soll von der Museumsseite her gesperrt werden. Was ist daran schlecht?“ fragte er in einer Diskussionssendung am Mittwoch abend. „Nichts“, sagt Stanislaw Krajewski, Mitglied des Internationalen Museumsrates von Auschwitz und Vorsitzender des Jüdischen Forums. Trotzdem plädiert er für die Radikallösung: „In der Schutzone sollten gar keine Gebäude stehen. Das sind wir dem Andenken der Toten schuldig.“ Der Bürgermeister sieht ihn mit ungläubigem Entsetzen an. Insgesamt müßten 191 Hektar Land enteignet werden, Häuser und Wohnungen, Betriebe und Werkstätten gesprengt werden, für den Wald neuer Boden herangekarrt werden. „Wir können doch die alten Leute, die von den Nazis vertrieben wurden und die nach 1945 zurückkamen, nicht wieder aussiedeln.“ Krajewski widerspricht: „Wenn ein Vulkan ausbricht, müssen auch alle Menschen in der unmittelbaren Umgebung evakuiert werden. Auschwitz ist ein emotionaler Vulkan.“
Staatspräsident Aleksander Kwaśniewski und Premierminister Wlodzimierz Cimoszewicz haben erklärt, daß sie den Bau eines Supermarktes für falsch halten. Der Kultusminister will die Bauarbeiten stoppen, doch der Bürgermeister von Oświecim ist sich sicher: „Alle Auflagen wurden erfüllt. Der Bau geht weiter.“
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