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Kulturrevolution mit Schwierigkeiten

Behördenperestroika kommt nicht voran: Bürger und öffentlicher Dienst wissen zuwenig von der Verwaltungsreform, kritisiert eine Studie. Eine schlanke Verwaltung ist nur durch Neuverteilung der Arbeit zu erreichen  ■ Von Christian Füller

Die Köpenicker Standesbeamten haben ein Problem. Allzu gerne würden sie Schiffstrauungen anbieten – und so das Bezirkssäckel aufbessern. Die Nachfrage ist da, viele Heiratswillige wollen den Bund fürs Leben bei einer gemütlichen Dampferfahrt auf dem Müggelsee besiegeln. Dem gewiß einträglichen Geschäft steht die starre „Personenstandsverordnung“ entgegen. Darin ist nicht nur bundesweit festgesetzt, wieviel eine Eheschließung kosten darf. Die Trauung darf außerdem nur am Anlegesteg gestiftet werden. Ein fahrender Dampfer nämlich könnte eventuell den Hoheitsbereich des Bezirks verlassen. Der Standesbeamte hätte keine Autorität mehr, die Ehe keine Gültigkeit...

Mit solchen Absurditäten wollen die Berliner im Zuge der „Verwaltungsreform“ genannten Behördenperestroika aufräumen: Die Rechtsvorschriften, und zwar alle, sollen bis Ende diesen Jahres außer Kraft gesetzt werden. Ohne Ausnahme. Das hat die Große Koalition vereinbart. Der radikale Vorschriftenschnitt werde in der Verwaltung den Zustand der Unschuld wiederherstellen, meint der Publizist Michael Bürsch. Der ehemalige schleswig-holsteinische Staatssekretär hat die Verwaltungsreformen quer durch die Bundesländer untersucht. „Keine andere Landesverwaltung unternimmt den Versuch, ... eine derartige ,Kulturrevolution‘ zu veranstalten“, schreibt Bürsch in einer jüngst von der Friedrich-Ebert- Stiftung herausgegebenen Studie. Doch der überzeugte Reformer übt auch Kritik an der Berliner Bürokratiereform.

Zeitplan und Umfang der Reform an der Spree seien zu ehrgeizig. Weder Personal noch BürgerInnen seien genügend einbezogen, so lauten die wesentlichen Kritikpunkte Bürschs. Genau wie die juristischen Kritiker (siehe Interview) bemängelt Bürsch an den Reformbemühungen ihre einseitige wirtschaftliche Ausrichtung. Der Ex-Staatssekretär möchte das Vorhaben „viel stärker politisch“ angehen. Zu deutsch: Die BürgerInnen sollen raus aus dem Untertanenstatus gegenüber der Verwaltung. Und sie müssen den Kulturwandel in den Ämtern im täglichen Umgang auch wirklich spüren. Beispiele dafür gibt es genug (siehe Kasten). In Berlin wollen die Verwaltungsreformer dagegen den großen Wurf wagen, ohne daß der Bürger es merkt.

Das aber kann zum Problem der Verwaltungsreform werden. Eine Emnid-Umfrage hat im vergangenen Jahr gezeigt, daß die BerlinerInnen kaum etwas von dem Projekt wissen. Bürsch ist sich dennoch sicher, daß die BürgerInnen von einem Wandel der bürokratischen Praxis profitieren können – und sich daher dafür auch interessieren. Man müsse sie nur richtig miteinbeziehen, meint er. Bei Emnid konnten die Befragten ihre Wünsche äußern: kürzere Warteschlangen an den Behördenschaltern, längere Öffnungszeiten der Amtsstuben, schnellere Aktenbearbeitung und mehr kreative Dienstleistungen – wie etwa die Köpenicker Schiffstrauung.

Kritisch steht Michael Bürsch auch der Einbeziehung des Personals in die Ämterrevolution gegenüber. Die bisherige Resonanz aus den Berliner Behörden zeige, „wie schwierig es besonders für die betroffenen Beschäftigten ist, mit dem vorgegebenen Eiltempo Schritt zu halten.“ Gegen das Personal aber kann keine Behörde umgestaltet werden. Im Gegenteil: „Die Menschen müssen dort abgeholt werden, wo sie sind“, sagt Bürsch. Als – schlechtes – Beispiel führt der Ex-Staatssekretär die Personalentwicklung an.

Zwar habe der Senat 35.000 Beschäftigte im Jahr 1995 fortbilden lassen. Dieses Jahr sollen gar 80.000 öffentliche Bedienstete mit der Reform nähere Bekanntschaft machen. Aber bei den Fortbildungen handelt es sich häufig um betriebswirtschaftliche Quickies. In einwöchigen Schnellkursen werden „Multiplikatoren“ geschult, die den Reformgedanken in die Verwaltung tragen sollen. Oft wissen die aber kaum mehr als ihre KollegInnen.

Der Umbau der öffentlichen Verwaltung dürfe zudem nicht mit einem gleichzeitigen Stellenabbau einhergehen, meint Bürsch. Sonst hätten die Amtsleute das Gefühl, ihre eigene Wegrationalisierung zu betreiben. Genau dies aber hat Berlin vor. 22.000 Arbeitsplätze – so die neueste Zahl – sollen bis 1999 im öffentlichen Dienst der Hauptstadt wegfallen. Aber Schlanksein ist nicht alles, hält Michael Bürsch jenen entgegen, die Verwaltungsreform mit Personalabbau verwechseln.

Was manchem wie ein Ding der Unmöglichkeit anmutet – die Bürokratiereform in Zeiten des Haushaltslochs –, ist für Michael Bürsch interessanterweise der Schlüssel zum Erfolg: Bürsch will den Behördenumbau mit einer radikalen Arbeitszeitverkürzung kombinieren. „Bündnis für Arbeit statt Hungerkur für die öffentliche Verwaltung“, lautet Bürschs Credo. Die Idee dahinter: Sowohl eine Teilzeitoffensive als auch eine echte Verwaltungsreform hätten grundsätzliche Reorganisationen zur Folge. In beiden Fällen müssen die Arbeitsabläufe neu gestaltet werden. Das war 1993 für Volkswagen das Motiv, stark verkürzte Arbeitszeiten unter teilweisem Lohnausgleich gegen einen viel flexibleren Einsatz des Personals zu tauschen. Nichts anderes ist Ziel der Verwaltungsreform. Ist das starre Dienstrecht der Beamten und Angestellten erst mal aufgebrochen, steht der Weg offen für den Abbau von Hierachien und eine beweglichere Verwendung des Personals. In Berlin finden sich für beides, Arbeitszeitverkürzung wie Reform der Bürokratie, vehemente Streiter. Allerdings haben die beiden Positionen noch nicht recht zueinandergefunden.

Kein Zweifel herrscht allenthalben, daß ein Umbau der öffentlichen Verwaltung not tut. Politiker und Gazetten sind elektrisiert vom „schlanken Staat“. Was das genau ist, weiß niemand. Allein das Finanzloch übt derzeit die Definitionsmacht aus, und die heißt Sozialabbau und Kulturkahlschlag. Doch auch eine wirtschaftlichere Haushaltführung und das spröde „Verwaltungsreform“ geheißene Herangehen an den bürokratischen Apparat gehört zur Diät.

Eine Kostenrechnung, mit der die Bezirke noch dieses Frühjahr beginnen sollen, wird zeigen, wo die Verwaltungs-Wasserköpfe sind. Außerdem soll die Verwaltung erstmals lernen, wieviel sie die Bürokratie eigentlich kostet.

Für Michael Bürsch gibt es allerdings noch einen weiteren triftigen Grund, die ambitiöse Reform in Berlin durchzustehen: Scheitert dieses Musterprojekt, so Bürsch, nähme der Verwaltungsumbau in der ganzen Republik Schaden.

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