■ Wissenswertes über Übersiedler: Wenn der Sachse alemannelt
Hamburg (taz) – In „Frohnaturen“ und in „Kämpfer“ lassen sich Sachsen einteilen, die kurz vor und kurz nach dem Ende der DDR nach Saarbrücken oder gar nach Konstanz übersiedelten. Das meldet die Pressestelle der Hamburger Uni als Ergebnis der Langzeitstudie „sprachliche und soziale Integration von Übersiedlerinnen und Übersiedlern aus Sachsen“.
Grundannahme war, daß das Sächsische zu den unbeliebtesten deutschen Dialekten gehört. Zwischen Oktober 1990 und Oktober 1992 wurden alle drei Monate etwa zweistündige Gespräche mit 56 mobilen Sachsen geführt und die Interviewer so zu Ohrenzeugen des vermuteten hohen sprachlichen Anpassungsdrucks ihrer nuschelnden Gewährspersonen.
Dabei hörten sie eindeutig heraus, daß gerade diejenigen ihren Dialekt ablegen, die sich „sozial nicht zu ihrer Zufriedenheit integrieren“. Dabei war lange Zeit nicht ausgemacht, ob Sächsisch überhaupt ein Dialekt ist oder ob nur beharrlich der Unterkiefer beim Sprechen vorgeschoben wird. Letzteres vertrat der sächsische Schriftsteller Stefan Heym einst im Westfernsehen, das mit Alfred Biolek aber seit langem wöchentlich auch den Gegenbeweis für diese These ausstrahlt.
Für die Hamburger Germanisten jedenfalls kristallisierten sich recht bald die beiden eingangs erwähnten „Integrationstypen“ heraus. „Frohnatur“ und „Kämpfer“ unterscheiden sich dadurch, wie leicht ihnen in Saarbrücken und in Konstanz die Eingemeindung fällt. Die deutlichsten sprachlichen Veränderungen wurden bei denen beobachtet, die am neuen Wohnort am stärksten um ihre Integration rangen und nicht an eine Rückkehr dachten. Alle jedoch legten früher oder später ihre „sächsischen Eigenheiten“ ab. Lediglich einige der „Kämpfer“, die unter Heimweh nach Sachsen litten und recht bald wieder dorthin zurückwollten, hätten ihren Dialekt verstärkt: „Für sie bot die Sprache einige Rückzugs- und Abgrenzungsmöglichkeiten.“
Ältere Leser mögen sich erinnern, daß eben jenes Undergiefergemahle zu Zeiten der Deutschen Demokradschen Rebbl-lieg die Lingua Franca des deutschen Sozialismus war. Nicht zuletzt Saarländer wie Erich Honecker, später Vorsitzender des Staatsrates der DDR und Generalsekretär des ZK der SED, wechselten in der DDR alsbald ins Pankowsche. Daß jetzt die Sachsen wiederum ins Alemannische und ins Rhein- und Moselfränkische wechseln und „han“ statt „haben“ sagen und „haschd“ statt „hast du“, wird gewiß irgendetwas bedeuten – nur was? Gänsefleisch noch etwas weiterforschen? Sönke Jahn
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