Durchs Dröhnland
: Herz und Hose

■ Die wichtigsten und überflüssigsten Konzerte der kommenden Woche

Was die Love Parade anbetrifft, halten wir es im folgenden mit Alec Empire: „Fuck all“. Wohl am schwersten gegen die übermächtige Konkurrenz hat am heutigen Abend der chilenische Musiker Alvaro anzukämpfen – obwohl von Jugendkultur in seinem Kontext kaum die Rede sein kann, einer bewegten Vergangenheit zum Trotz: Denn Alvaro war in den Siebzigern ein Wühler und Vordenker in Sachen Punk, einer, der schon 1974 mit Joe Strummer eine Band hatte, die 101ers, die parallel mit den Ramones in New York den bis heute unverwüstlichen Eins-zwei-drei-Akkord-Sound aus der Taufe hob. Gekannt haben die 101ers zwar nur ein paar Eingeweihte, doch immerhin schaffte es Alvaro später mit Platten wie „Drinking my own Sperm“ oder „The Working Class“ von der Sounds das Etikett „Folkexperimentist und Radikalist“ angehängt zu bekommen.

Nach 15jährigem europäischem Exil und dem Abdanken der Militärjunta, kehrte Alvaro für kurze Zeit nach Chile zurück. Dort muß er dann schwer melancholisch geworden sein: Anstatt exil- und rückkehrbedingte Brechungen und Reflexionen in seine Musik einzubauen, besann Alvaro sich auf die eher kitschbetonte musikalische Tradition seiner Heimat und komponierte und interpretierte „Südamerikanische Schnulzen“. Lieder, die mit Politik, Pop und Sex nichts am Hut haben und ausschließlich wahre Liebe und ehrliche Sehnsucht verhandeln, auf daß sich die Eimer nur so biegen.

Die Wischlappen darf man trotzdem zu Hause lassen, denn Alvaros kühles und nüchternes Pianospiel bietet einen guten Kontrast zu seiner eindringlich- gefühligen Stimme. Nicht zuletzt sorgt Alvaros Partner am Baß, Jens Peter Volk von The Blech, dafür, daß man hier mehr Kunst und Musik als nur die reine Folklore raushört.

Heute abend, ab 23 Uhr, Roter Salon, Rosa-Luxemburg-Platz

Für den britischen Popschreiber Nik Cohn war „Tutti Frutti“ von Little Richard das unübertroffene Initiationserlebnis seiner Jugend. Der Song lehrte ihn „mit einem Schlag alles, was ich über Pop wissen mußte“. Die Botschaft lautete: Tutti frutti all rootie, tutti frutti all rootie, awopboppaloobop alopbamboom. „Als Zusammenfassung dessen, worauf es im Rock 'n' Roll ankam, waren diese Worte meisterhaft.“ Wiewohl solche Aussagen mit Vorsicht zu genießen sind, kann man gut nachvollziehen, daß sich mit Little Richard erstmals Teens einen Geheimcode zulegen konnten „eine Zeichensprache, die den Rock für Erwachsene ganz und gar unverständlich machte“.

So verschaffte Little Richard dem Pop mit Songs wie „Tutti Frutti“, „Bama Lama“, „Bama Loo“, „Good Golly Miss Molly“ eine eigene Kraft, Sprache und Poesie. Auf der Bühne war der Mann, wie es ein Rock-Lexikon von 1973 weiß, „ein Exzentriker, der sein Klavier wie ein Wahnsinniger traktiert, der kreischt und brüllt, dem Melodie und Harmonie egal sind. Hauptsache, es passiert was.“ Später wurde er dann gläubig und nahm Gospelplatten auf, und wie viele alte Helden ist Little Richard mittlerweile nur noch in Sachen eigener Legende unterwegs. Das ist in der Regel sehr traurig, vor allem, wenn es gar zu ernst gemeint ist.

Warum ausgerechnet die Hamburger Girlband Die Braut Haut Ins Auge ins Vorprogramm gerutscht ist, bleibt unklar.

15. 7., 19.30 Uhr, Tempodrom, In den Zelten

Meistens pflegt man auf den britischen Inseln, so man im zweiten Glied musiziert, den hinreichend bekannten, quengelnden, semischrägen, wohltemperierten Gitarrenpop zu spielen. Tausend Jungs aus den Vorstädten träumen mit der Gitarre um den Hals unermüdlich von einem Leben jenseits von Fabrik, Familie und abendlichem Besäufnis im Pub.

Terrorvision aus Bradford machen da keine Ausnahme. Nur, daß sie sich musikalisch eher an Hardrock-Größen wie Def Leppard oder Bon Jovi orientieren: Groß, fett und pathetisch klingen Terrorvision zum Teil, selbst auf recht unverfrorenen Einsatz von Bläsern und Streichern verzichten sie nicht. Zumeist aber geht es ganz zackig zur Sache: Ihre Songs jagen dann einer Stimmung nach, die man nur als himmelhochjauchzend beschreiben kann. Schön auch, daß sogar Glamour an den Gitarrensaiten hängt, daß Terrorvision tief in den Kisten mit den Slade-Singles gewühlt haben und so auf ihre Mainstream- Orientiertheit auch ein paar Schippen Charme packen.

16. 7., 20.30 Uhr im Loft, Nollendorfplatz

Wie man weiß, gibt es in Braunschweig eine gut brummende und brennende Hip- Hop-Szene. (Obwohl, wie vom Fußball bekannt, die besten Kräfte ihre Stadt längst verlassen haben.) Was Rockmusik betrifft, halten seit bald einem Jahrzehnt die Shifty Sheriffs die schlaff wehende Fahne mehr schlecht als recht in den Wind. Etwas taufrischere Unterstützung versprechen da die Thrill Beat Bones. Witzig, wie man nur in Braunschweig ist, beschreiben die drei Youngster ihre Musik als eine Mischung aus Truck Stop, Motorhead und den Kastelruther Spatzen. So haben sie alle Mechanismen des Popmarktes verstanden und hinterlistig auf den Punkt gebracht.

Klar, daß es in ihren Songs kräftig scheppert und pumpt, daß unverfänglicher Punkrock hinter jedem Ton hervorlugt und daß auch hier die Energien von Herzen und die Melodien aus der Hose kommen. In einem Song heißt es „I don't know what I want, don't know what's wrong or right“. Weswegen die Thrill Beat Bones auch lieber in ihren Träumen durch die Welt segeln und im Regen tanzen: Wertkonservatismus im Pop heißt das, und schlecht im Rennen liegt man damit nie.

18. 7., ab 21 Uhr im Duncker- Club, Dunckerstr. 64 Gerrit Bartels