: „Ein ganz einfaches Kunstwerk“
Am Haus in der Dorotheenstraße werden nach fast dreiwöchiger Arbeit die letzten der vielen tausend Meter Seil gespannt. Mäßiger Publikumszuspruch ■ Von Eva Behrendt
Das im wahrsten Sinne des Wortes fesselnde Werk des griechischen Künstlers Yannis Markopoulos nähert sich nach nunmehr fast dreiwöchiger (Seil-)Spannung seiner Vollendung: Das frei- und leerstehende Haus in der Dorotheenstraße 105 wird nunmehr nach allen Seiten hin durch eine Vielzahl von roten Kunststoffseilen zu Boden gedrückt.
Nur die letzten Stränge müssen noch vom Dach zu Bodenverankerung gespannt werden, „dann wird aufgeräumt“, wie der gar nicht aufgeräumt wirkende technische Koordinator Jens Fellmuth erklärt. Mißmutig bemerkt er, daß niemand sich zu wundern brauche, wenn die Errichtung des Kunstwerkes „sich etwas hingezogen hat“. Zum einen handle es sich schließlich um „Kunst im Baubetrieb“, so daß sämtliche nicht kunstinspirierte Vorhaben der Dorotheenblock-Baustelle strikten Vorrang hätten. Außerdem habe man ohne ausführliches Planungskonzept mit der Fesselung begonnen und erst während der Arbeit die notwendigen „Spann“-Erfahrungen gesammelt, „nach dem Try-and-error-Prinzip sozusagen“.
Fellmuth kann sich als einer von sechs kletterbegabten Koordinatoren des Großkunstunternehmens Reichstagsverhüllung einschlägiger Kenntnisse in Sachen Organisation und technischer Projekt- Durchführung rühmen. „Mein erster Gedanke war: das wird wohl ein Plagiat. Aber inzwischen habe ich erkannt, daß dies hier technisch als auch im Ergebnis eine ganz andere Geschichte ist“, erzählt der Hobbykletterer.
Zu den 25 ArbeiterInnen, die die Vorstellungen des Griechen zu verwirklichen versuchen, zählt der Publizistikstudent Stephan. Der Tip eines Freundes und die studentische Arbeitsvermittlung „Heinzelmännchen“ haben ihn auf den Gedanken gebracht, nicht nur „irgendwie“ seine Brötchen zu verdienen, sondern quasi schöpferisch an der Umsetzung der Künstleridee teilzuhaben. In Stephans Augen transportiert das gefesselte Objekt durchaus Bedeutungen, die sich von denen des verhüllten Reichstags unterscheiden: „Die Tatsache, daß dies eines der wenigen denkmalgeschützten Gebäude ist, die im zukünftigen Bonzenviertel überleben werden, wird durch die Aussage der Fesselung: „Es bleibt an diesem Ort“ verstärkt und politisiert. Auch von der ästhetischen Seite her betrachtet, finde ich die Wirkung enorm. Man sieht förmlich den gewaltigen Druck, der auf dem Haus lastet.“ Ansonsten sei der „Ferienjob“ anstrengend, aber mit 17 Mark pro Stunde nicht schlecht bezahlt.
Schließlich findet sich auch noch der Künstler selbst unterm roten Seildach ein. Der Mann, der seinen Mitarbeitern „eigenhändig die Mittagsbrote schmiert“, kann ebenfalls trotz unmittelbarer Reichstag-Nachbarschaft kaum Überschneidungen beider Kunstereignisse erkennen: „Das da drüben ist ein Tempel“, meint er und nickt griechischen Profils in Richtung Reichstag. „Das hier dagegen ist ein ganz einfaches Haus, und hier entsteht ein einfaches Kunstwerk.“ Die Reaktion der Vorüberflanierenden allerdings erweist sich als ernüchternd undifferenziert. Wie anno Christo freut sich ein Touristenpaar aus Schwaben: „Haja, sieht doch gut aus!“, während ein unbelehrbarer Einheimischer dazwischenblökt:„ Det is schade ummet Jeld, det könnte man nu wirklich besser anlejen!“
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