: Wem gehört Buchenwald?
■ Justiz ermittelt gegen Gedenkstättenleiter
Seit Jahren wird über die Geschichte der sowjetischen Internierungspraxis in Buchenwald erbittert gestritten. Die Fakten liegen mittlerweile offen zutage. Im sowjetischen Speziallager auf dem Gelände des KZs Buchenwald saßen vor allem Menschen ein, die aufgrund ihrer (wenngleich niedrigen) Funktionen in Nazideutschland pauschal inhaftiert wurden – ohne rechtsstaatliche Verfahren unter furchtbaren Bedingungen, die in Buchenwald allein 7.000 Todesopfer forderten. Eine Minderheit fiel Denunziationen zum Opfer und eine noch kleinere Zahl stalinistischem Unrecht gegen demokratische Opponenten. Dieses Lager war somit in erster Linie ein gewaltsamer (und völlig untauglicher) Versuch, die deutschen Verbrechen zu sühnen, weit eher jedenfalls ein Instrument des Terrors gegen demokratischen Widerstand. Nichts anderes hat der Leiter der Gedenkstätte Buchenwald, Volkhard Knigge, immer wieder betont. Die Erfurter Staatsanwaltschaft ermittelt nun gegen ihn wegen „Volksverhetzung“.
Betont hat Volkhard Knigge freilich auch – und das hat ihm wohl den glühenden Haß des „Verbandes der Opfer des Stalinismus“ eingetragen –, daß es auf der symbolischen Ebene des Gedenkens keine Gleichsetzung der unschuldigen Opfer der Nazis und der Internierten geben kann. Ermittelt wird in Erfurt nicht nur gegen Volkhard Knigge, sondern gegen alle, die sich dem Mythos deutscher Unschuld verweigern. Einmal mehr wird das gesunde Volksempfinden den Vorwurf der „Kollektivschuld“ wittern, wo es doch nur um individuelle Schuld gehen kann. Individuell waren sie aber, die Motive und Interessen, antisemitischen und rassistischen Einverständnisses mit dem Regime, die dem Nationalsozialismus seine Basis verschafften. Rund 8,5 Millionen Parteimitglieder waren aus den unterschiedlichsten Gründen, aber doch aus eigenem Entschluß einer terroristischen Vereinigung beigetreten, und die Alliierten, auf der Suche nach dem Recht, standen vor einem unlösbaren Problem. Die Sowjets haben es auf mörderische Weise versucht zu lösen. Darüber zu reden wäre es an der Zeit. Statt dessen aber steht nun die Staatsanwaltschaft vor der Tür, wenn man den Deutschen nicht pauschal attestiert, die wahren Opfer gewesen zu sein. Hanno Loewy
Bericht Seite 2, Portrait Seite 11
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen