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Eine kleine Wahlrechtsreform

Den eigentlichen Stein des Anstoßes hat die Regierung aus ihrem Gesetzentwurf ausgeklammert: die Überhangmandate. Die Entwürfe von SPD und Bündnisgrünen sind chancenlos  ■ Aus Bonn Bettina Gaus

Der Bundestag wird heute ein Gesetz verabschieden, das nur einige Jahre gelten soll und für das sich angesichts der staubtrockenen Materie außer einigen Experten ohnehin kaum jemand interessiert. Zu Unrecht: Die Wahlrechtsreform kann für die künftigen Machtverhältnisse in Bonn entscheidend sein.

Diejenigen, die die Macht schon haben, wollen so wenig wie möglich ändern: „Im Prinzip sind wir mit dem Wahlrecht zufrieden“, erklärt Andreas Schmidt, Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU/CSU.

Heute wird ohnehin nur ein bißchen reformiert, der große Wurf soll erst vor den Wahlen im Jahre 2002 erfolgen. Bis dahin müssen die Wahlkreise völlig neu eingeteilt sein, da der Bundestag ja für diesen Zeitpunkt seine Verkleinerung beschlossen hat.

Um dieser Neuordnung nicht vorzugreifen, werden die Abgeordneten heute nur ungefähr 20 Wahlkreise neu zuschneiden, weil ihre Bevölkerungszahl um mehr als ein Drittel von der Normgröße abweicht. Für die Bundestagsparteien ist das kein Anlaß zum Streit.

Vom Stein des Anstoßes hingegen ist im Gesetzentwurf der Regierungskoalition gar nicht erst die Rede: von den Überhangmandaten. Sie entstehen, wenn eine Partei in einem Bundesland mehr Direktmandate erringt, als ihr nach der Anzahl der Zweitstimmen prozentual zustehen.

Das ist in der alten Bundesrepublik nur in wenigen Fällen passiert. Ein anderes Wählerverhalten in den neuen Bundesländern, eine schlampige Einteilung der Wahlkreise dort und die inzwischen eingebürgerte Praxis des Stimmen- Splittings von FDP-Wählern zugunsten der CDU führten bei den Wahlen 1994 zu 16 Überhangmandaten. 12 davon errang die CDU. Ohne sie hätte die Koalition im Bundestag statt wie jetzt zehn eine knappere Mehrheit von zwei Stimmen.

Eine Verfälschung des Wählerwillens sehen darin die Grünen. Die SPD war von ihnen allerdings nur mühsam als Bündnispartnerin zu gewinnen. Immerhin hatte sie 1994 selbst vier Überhangmandate bekommen. Ob die SPD in einer veränderten politischen Landschaft überhaupt noch gegen das geltende Recht wäre, kann bezweifelt werden: „Wenn Grüne-Wähler ähnlich wie FDP-Wähler ihre Stimmen splitten würden, dann wären wir schon ein großes Stück weiter“, erklärt der SPD-Abgeordnete Dieter Wiefelspütz mit kaum verhaltenem Zorn.

Zu einem gemeinsamen Gesetzentwurf der Opposition hat es dann nicht gereicht. Die Grünen haben ein sogenanntes Kompensationsmodell erarbeitet. Es sieht vor, daß einer Partei für jedes Überhangmandat anderswo ein Listenmandat abgezogen wird.

Mit der SPD ist das nicht zu machen. „Da geht es ja um Existenzen. Wir fürchten, daß die Interessen der Landesverbände der Parteien dadurch substantiell beeinträchtigt werden“, meint Wiefelspütz. Die Sozialdemokraten favorisieren statt dessen ein Ausgleichsmodell, das anderen Parteien Zusatzmandate für jedes Überhangmandat gibt. Das allerdings würde den Bundestag noch weiter vergrößern.

Chancenlos sind beide Entwürfe. Die Entscheidung wird wohl ans Verfassungsgericht weitergeleitet werden. Das muß Anfang 1997 ohnehin schon über mehrere Wahlanfechtungen entscheiden. Eine Klage gegen das neue Gesetz dürfte bald hinzukommen: „Das muß natürlich erst die Partei entscheiden. Aber ich sehe keinen anderen Weg, wenn der Entwurf der Koalition durchkommt“, erklärte Gerald Häfner von den Grünen gegenüber der taz.

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